Skip to main content

Erfolgsfaktor: Organisationale Resilienz

Über organisationale Resilienz wird viel gesprochen, doch wie lässt sie sich tatsächlich in Organisationen und Unternehmen umsetzen? In einem Gastbeitrag für das 22316_MAG skizzieren Prof. Dr. Burkhard Pedell von der Universität Stuttgart und Dr. Johannes Nickel von der Corporate Resilience Academy fünf konkrete Ansatzpunkte und benennen Erfolgsfaktoren für die Implementierung von Resilienz-Programmen. 

Eine Grundvoraussetzung, um die Resilienz von Unternehmen und anderen Organisationen gezielt zu gestalten, ist ein klares Verständnis von organisationaler Resilienz. Auch wenn sich bis heute keine allgemein anerkannte Definition etabliert hat, kristallisiert sich doch ein gewisser Konsens über zentrale Elemente organisationaler Resilienz heraus. Diese wird überwiegend als Fähigkeit eines Unternehmens interpretiert (Pedell/Seidenschwarz, 2011; Pedell, 2014; Ma et al., 2018; Duchek et al., 2020). Sehr gut bewährt hat sich für unsere Arbeit in der Forschung und der Unternehmenspraxis folgende Definition: „Resilienz ist die Fähigkeit eines Unternehmens, auch mit unerwarteten und bestandsgefährdenden Ereignissen und Entwicklungen widerstandsfähig und konstruktiv umzugehen sowie aus den Erfahrungen daraus Kompetenzen aufzubauen, die das Unternehmen agiler und wettbewerbsfähiger machen.“ (Pedell, 2014; vgl. Pedell/Seidenschwarz, 2011).

Ansatzpunkte für die Hebel des Resilienzmanagements

Daraus lassen sich fünf Ansatzpunkte für das Resilienzmanagement ableiten (Pedell/Seidenschwarz, 2011):

  1. Identifikation essenzieller Funktionen und Prozesse sowie Antizipation von Ereignissen und Entwicklungen. Hierbei ist es wichtig, sich nicht auf die Antizipation von Risiken zu beschränken, sondern im ersten Schritt Transparenz darüber herzustellen, was die tragenden Funktionen und Prozesse des Unternehmens sind.
  2. Vermeidung von bestandsgefährdenden Ereignissen und Entwicklungen und, soweit sich diese nicht vermeiden lassen,
  3. Vorsorge gegen die Folgen derartiger Ereignisse und Entwicklungen. Diese beiden Punkte sind am engsten mit dem etablierten Risikomanagement des Unternehmens verbunden.
  4. Krisenmanagement beim Eintreten derartiger Ereignisse und Entwicklungen, wofür es essenziell ist, bereits vorab Strukturen, Prozesse, Maßnahmen und Kommunikationswege festzulegen (Pedell, 2014).
  5. Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen aus derartigen Ereignissen und Entwicklungen. Dies ist die ‚Königsdisziplin‘ des Resilienzmanagements und wird bislang nur von wenigen Unternehmen systematisch verfolgt.

Die ersten drei Ansatzpunkte sind präventiv angelegt und der Phase vor Eintreten eines Ereignisses bzw. einer Entwicklung zuzuordnen. Der vierte Ansatzpunkt fokussiert auf die Phase während eines Ereignisses bzw. einer Entwicklung. Die Phase nach einem Ereignis bzw. einer Entwicklung adressiert primär der fünfte Ansatzpunkt. Diese verbreitete Einteilung in drei Phasen des Resilienzmanagements (Conz/Magnani, 2020; Duchek et al., 2020) ist sehr hilfreich, um die Aufgaben und Instrumente des Resilienzmanagements zu strukturieren.

Unternehmensressourcen als Gestaltungsbereiche organisationaler Resilienz

Die Resilienz als Fähigkeit einer Organisation basiert auf ihren Ressourcen. Die Vertreter des Resource-Based View of the Firm führen Erfolgsunterschiede von Unternehmen auf deren unterschiedliche Ressourcenausstattungen zurück. Folglich sollten Maßnahmen zur Gestaltung der Resilienz an den Unternehmensressourcen ansetzen. Zu nennen sind tangible Ressourcen wie Maschinen und Gebäude, intangible Ressourcen wie Technologien und Unternehmenskultur oder Humanressourcen wie Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden (Wernerfelt, 1997).

Die Hebel zur Gestaltung der Resilienz setzen insbesondere an der Flexibilität und Redundanz von Ressourcen an. Beispiele für flexibilitätsbezogene Maßnahmen sind die Wahl einer Mehrzweck- statt einer Einzweckmaschine und der Abschluss mengenflexibler statt mengenfixer Verträge mit Lieferanten. Beispiele für redundanzbezogene Maßnahmen sind die Einrichtung von Pufferlagern, der Aufbau mehrerer Bezugsquellen und die Vermeidung von Single Points of Knowledge durch eine Verbeiterung der Wissensbasis (Nickel, 2020). Die Vorteilhaftigkeit einzelner Maßnahmen hängt von der individuellen Ressourcenausstattung und Wettbewerbssituation des Unternehmens ab. So werden Sourcing-Entscheidungen zum Beispiel wesentlich von der Struktur der Beschaffungsmärkte beeinflusst.

„Die Hebel zur Gestaltung der Resilienz setzen insbesondere an der Flexibilität und Redundanz von Ressourcen an.“

Beziehungen organisationaler Resilienz zu anderen Zielen

Bei der Gestaltung von unternehmensindividuellen Resilienzprogrammen sind die Auswirkungen der Maßnahmen auf andere, insbesondere effizienzbezogene Ziele offenzulegen. So kann eine resilienzsteigernde Maßnahme mit positiven oder negativen Wirkungen auf Kostenniveau und Kostenstruktur verbunden oder auch kostenneutral sein. Gerade im Fall von Zielkonflikten ist für eine transparente Abwägung zu sorgen (Nickel/Pedell, 2020).

So hat beispielsweise die bewusste Entscheidung für den Aufbau von Redundanz in der Beschaffung durch mehrere Bezugsquellen verschiedene Auswirkungen auf das Unternehmen. Einerseits ist der positive Aspekt der Redundanz zu nennen. Im Falle eines Zwischenfalls bei Lieferant A bleibt das System durch Lieferanten B weiter aktiv. Die negativen Folgen eines Lieferantenausfalls sind weniger gravierend. Darüber hinaus kann ein positiver Wettbewerbseffekt zwischen den Lieferanten entstehen, wenn diese beispielsweise ihre Anstrengungen erhöhen, ein überlegenes Vorprodukt anzubieten. Andererseits sind zwei Lieferanten zu betreuen. Dies versursacht sowohl administrative als auch operative Kosten. Ferner ist in vielen Fällen davon auszugehen, dass aufgrund der aufgeteilten Abnahmemenge schlechtere Einkaufskonditionen erzielt werden.

„Bei der Gestaltung von Resilienzprogrammen sind die Auswirkungen der Maßnahmen auf andere, insbesondere effizienzbezogene Ziele offenzulegen.“

Erfolgsfaktoren für die Umsetzung von Resilienzprogrammen

Ein klares konzeptionelles Verständnis von organisationaler Resilienz und der Hebel zu ihrer Gestaltung schafft die Basis für den systematischen Aufbau von Resilienz im Unternehmen. Um die Herausforderungen bei der Umsetzung zu stemmen, sind nach den Erfahrungen, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben, weitere Faktoren erfolgskritisch.

Ein Schlüssel ist ein Programm für den Resilienzaufbau, das unternehmensindividuelle Pakete im gesamten Wertschöpfungssystem entwickelt. Bereits in der Phase der Produktentwicklung können hier wichtige Weichen gestellt werden. Die Hebel Flexibilität und Redundanz werden in dieser frühen Phase durch unternehmerische Entscheidungen wesentlich bestimmt. Infolgedessen wirkt sich die Ausgestaltung von Flexibilität und Redundanz im Wertschöpfungssystem eines Produktes direkt auf die Widerstandskraft des Unternehmens aus.

„Ein Resilienzprogramm sollte das gesamte Wertschöpfungssystem abdecken und bereits in der Produktentwicklung ansetzen.“

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist ein maßgeschneiderter Instrumentenkoffer, der wirkungsvolle und praktikable Instrumente bereithält. Das können z.B. Instrumente aus dem Bereich des Red Teaming sein, die das kritische Hinterfragen fördern. Ein anderes Beispiel sind Krisenübungen und -simulationen, die zeigen, ob ressourcenbezogene Maßnahmen bereits ausreichend greifen. Selbst wenn sich nicht alle Krisenszenarien antizipieren und üben lassen, tragen regelmäßige Krisenübungen unserer Erfahrung nach wesentlich dazu bei, die trainierte Handlungsschnelligkeit auch in unvorhergesehenen Situationen abzurufen. Für eine erfolgreiche Gestaltung von Resilienz ist es schließlich auch notwendig, dass bewährte Führungspraktiken bei der Konzeption und Implementierung von Resilienzprogrammen unterstützen, z.B. bei der Vermeidung von Biases in der Wahrnehmung und Entscheidung sowie bei der Förderung einer Risiko- und Fehlerkultur, die Lernen und Innovation fördert.

Zu guter Letzt

All das führt jedoch nur dann zum Gelingen der Gestaltung von Resilienz im Unternehmen, wenn das Thema auch stark in der Organisation verankert ist. Resilienz als Zieldimension ist dafür in Strategieentwicklungs- und Geschäftsprozesse konsequent einzubeziehen. Je nach Komplexität und Unternehmensgröße kann es sich auch empfehlen, einen Chief Resilience Officer zu berufen oder ein Office of Resilience einzurichten, um den vielfältigen Verknüpfungen gerecht zu werden.

Zu den Autoren: 

Johannes Nickel vor weißem Hintergrund und Burkhard Pedell vor schwarzem Hintergrund getrennt von einem gelben Element und mit den jeweiligen Namen daneben

Prof. Dr. Burkhard Pedell ist Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der Universität Stuttgart. Er arbeitet seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 im engen Dialog mit der Unternehmenspraxis zum Resilienzmanagement und hat die Forschungsaktivitäten dazu im Corporate Resilience Lab an der Universität Stuttgart gebündelt. Er ist damit einer der ersten Betriebswirte, welcher das Thema Resilienz für den Unternehmenskontext erschlossen hat. Burkhard Pedell ist Mitverfasser mehrerer Lehrbücher und Autor von über 100 Fachbeiträgen, zahlreiche davon zum Resilienzmanagement. Er ist Co-Founder der Corporate Resilience Academy, die das Ziel verfolgt, über maßgeschneiderte Programme und Projektbegleitungen Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln und die Resilienz von Unternehmen gezielt aufzubauen und zu erhalten.

Dr. rer. pol. Johannes Nickel ist aktuell bei der Daimler Truck AG beschäftigt. Seine Leidenschaft liegt in der Implementierung des Resilienzmanagements in den Unternehmensalltag. Er ist Co-Founder der Corporate Resilience Academy und engagiert sich ehrenamtlich beim Institut für Business Continuity und Resilienzmanagement e.V. An der Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering der Universität Stuttgart wurde er mit seiner Arbeit “Wechselwirkungen des Kosten- und Resilienzmanagements im Kontext produktorientierter Entscheidungen“ promoviert.

Kommentar schreiben