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Erfolgsfaktor: Can-Do-Haltung

Deutsche Städte kämpfen schon seit Jahren um ihr Überleben. Ein schwächelnder Einzelhandel, zunehmende Verwahrlosung und ausufernde Kriminalität – die Probleme sind immens. Wie können unsere Städte resilienter werden und welche Visionen gibt es für die Zukunft?

In deutschen Städten gehen die Lichter aus. Dass Sehenswürdigkeiten und Denkmäler nicht mehr beleuchtet werden, ist eine vorübergehende Folge der Energiekrise. Bemerkenswert ist dieses Bild dennoch. Spiegelt es doch wider, wie es generell um unsere Städte bestellt ist. Der Glanz vergangener Tage, er ist vorbei. Nach dem zweiten Weltkrieg zu Zeiten des westdeutschen Wirtschaftswunders war das noch ganz anders. Wir alle kennen die Bilder lachender Menschen, die es nach den Qualen des Krieges genossen, durch die wiederaufgebauten Innenstädte zu flanieren, einzukaufen, in Cafés zu sitzen und ins Kino zu gehen. Die Stimmung war gut, der Einzelhandel boomte durch die steigende Kaufkraft der Menschen und es herrschte ein starkes Gemeinschaftsgefühl in großen Teilen der Bundesrepublik. Zeiten ändern sich.

Deutsche Städte stehen schon seit einigen Jahren vor enormen Herausforderungen. Der Einzelhandel, Zugpferd fast sämtlicher Innenstädte, wird zumeist von öden Filialisten dominiert und kriselt zugleich wegen des wachsen-den Onlinehandels. Kleine, inhabergeführte Geschäfte sind Relikte vergangener Tage und müssen immer öfter monumentalen Shoppingcentern weichen. Zugleich sinkt in vielen Regionen Deutschlands die Kaufkraft der Menschen durch immer höher werdende Lebenshaltungs-kosten. Was Innenstädten außerdem zu schaffen macht, sind Bausünden von früher. Viele Plätze und Straßen wirken nicht sehr einladend – und werden in der Folge von Bewohnern und Touristen gemieden. Verwahrlosung und Leer-stand tun ihr Übriges.

Massenschlägereien mit über 200 Teilnehmern

Der öffentliche Raum wird nach und nach nicht mehr nur von anderen gesellschaftlichen Gruppierungen erobert, sondern mit der Zeit auch von ihnen dominiert. Obdachlose, Drogendealer, Kriminelle – in vielen deutschen Großstädten gehören ihr Anblick, ihre Hinterlassenschaften und ihre Straftaten zum Alltag. Clans beherrschen in Nordrhein-Westfalen und Berlin zudem ganze Straßenzüge und leben nach ihren eigenen Gesetzen. Massenschlägereien mit über 200 Teilnehmern in der Öffentlichkeit und Angriffe auf Einsatzkräfte und Ordnungsamt sind traurige Realität. Es gilt das Gesetz des Stärkeren – die Polizei scheint oft machtlos.

Längst ist eine Abwärtsspirale – bestehend aus einem ideenlosen Einzelhandel, städtebaulichen Fehlentwicklungen, Versäumnissen in der Bekämpfung von Kriminalität und einer Entfremdung der Bevölkerung von ihrem eigenen Lebensraum – ins Rollen geraten. Und diese ist nicht mehr so leicht anzuhalten. Vor allem führt sie insgesamt zu einem stark sinkenden Sicherheitsgefühl der Menschen in ihrer Stadt. Angst, Skepsis und Verunsicherung sind jedoch die natürlichen Gegner eines jeden Gemeinschaftsgefühls, das es so dringend bräuchte, um unsere Städte wieder lebens- und liebenswerter zu gestalten. Was ist nun zu tun? Und wie können deutsche Städte widerstandsfähiger, sprich resilienter, gegenüber dieser hochkomplexen Problemlage werden? Lösungsansätze gibt es viele, doch von Seiten der Städteverantwortlichen werden oft nur die Symptome bekämpft.

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Mit der Resilienz der Städte beschäftigt sich die „Rockefeller Foundation“ schon seit fast zehn Jahren. Auf ihrer Webseite heißt es: „Im Jahr 2013 hat die Rockefeller Foundation ‚100 Resilient Cities‘ ins Leben gerufen, um mehr Städten dabei zu helfen, Resilienz gegenüber den physischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen aufzubauen, die ein wachsender Teil des 21. Jahrhunderts sind.“ Zu den teilnehmenden Städten gehörten unter anderem Barcelona, Bangkok, Boston, Buenos Aires, Kapstadt, Lissabon, London, Mailand, New York City oder auch Paris

London setzt auf ganzheitliche Betrachtung der Resilienz

Weiter heißt es: „Städte im 100RC-Netzwerk wurden mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet, um einen Fahrplan für Resilienz entlang von vier Hauptpfaden zu entwickeln:

  • Finanzielle und logistische Anleitung zur Einrichtung eines Chief Resilience Officer, der die Resilienz-Bemühungen der Stadt leiten wird
  • Expertenunterstützung für die Entwicklung einer robusten Resilienzstrategie
  • Zugang zu Lösungen, Dienstleistern und Partnern aus dem privaten, öffentlichen und NGO-Sektor, die ihnen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Resilienz-Strategien helfen können
  • Mitgliedschaft in einem globalen Netzwerk von Mitgliedsstädten, die voneinander lernen und sich gegenseitig helfen können.“

Das Projekt war ein Erfolg und bis heute wird es unter dem Namen „Resilient Cities Network“ weitergeführt. Die verschiedenen Städte hatten derweil mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen. Während New York City den Fokus auf seine vielen alternden, von Überschwemmungen strapazierten Gebäude legte, konzentrierte sich Mailand „auf die Einführung von Resilienz in Stadtplanungsprozessen, die gemeinsame Ausarbeitung eines neuen Klima- und Luftplans und eine Resilienz-Strategie“.

Die Verantwortlichen der Hauptstadt von England lassen sich derweil so zitieren: „Die Resilienz-Strategie von London verfolgt eine breite und langfristige Sichtweise dessen, was städtische Resilienz bedeutet, indem sie unmittelbare Risiken berücksichtigt und ein breiteres Spektrum an Schocks und Belastungen betrachtet, um zu bestimmen, wie man am besten darauf reagiert. Durch eine ganzheitliche Betrachtung der Resilienz können London und die Londoner besser auf die Zukunft vorbereitet werden.“ Eine ganzheitliche Betrachtung der Resilienz – dieser Ansatz würde auch so manch deutscher Stadt gut zu Gesicht stehen. Doch weder Hamburg, München, Berlin oder Köln waren Teil der „100 Resilient Cities“.

500 Millionen Euro jährlich für Innenstädte

Auch beim Deutschen Städte- und Gemeindebund schrillen die Alarmglocken. Dort vertritt man die Interessen von 11.000 Städten und Gemeinden in der Bundesrepublik und weiß um die vielfältigen Probleme. „Die Situation der Innenstädte und Ortskerne ist in vielen Städten und Gemeinden weiterhin angespannt. Der fortschreitende Strukturwandel und insbesondere die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind immer noch deutlich spürbar. […] Laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) aus dem Jahr 2021 sind bis zu 120.000 Einzelhändler:innen von Geschäftsaufgaben bedroht. Dies hat massive Auswirkungen auf Innenstädte und Ortskerne, die weiter an Attraktivität verlieren werden“, so Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.

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„Strukturwandel und Pandemie-Auswirkungen sind deutlich spürbar.“

Dr. Gerd Landsberg ist seit 1998 Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Seit dem 1. Januar 1998 führt er den kommunalen Spitzenverband in der Bundeshauptstadt Berlin. Zuvor war Landsberg als Richter am Landgericht Bonn, am Oberlandesgericht Düsseldorf, im Justizministerium in Düsseldorf und im Bundesministerium der Justiz tätig.

Leerstand stelle eine ernstzunehmende Herausforderung dar, die nur im Dialog mit Eigentümern, Handel und Bürgerschaft gelöst werden könne. Es gehe darum, neue und innovative Nach- und Zwischennutzungsmöglichkeiten zu erschließen. Landsberg wirbt zudem für ein aktives Leerstandsmanagement in Städten. „Wie die praktische Umsetzung gelingt, zeigt sich in zahlreichen Projekten, die in den letzten Jahren ins Leben gerufen wurden. Aufgegebene Kaufhäuser wurden hierbei beispielsweise in Verwaltungs- und Wohneinheiten umgewandelt, in denen auch Kultureinrichtungen einen festen Platz erhalten haben“, erklärt der 70-Jährige.

Zudem betont er die gute Zusammenarbeit mit der Politik. Es bestehe grundsätzlich Konsens über die herausfordernde Lage von Innenstädten und Ortskernen. Der Wille, hier Lösungen zu finden, sei groß. Landsberg sagt weiter: „Der Deutsche Städte- und Gemeindebund arbeitet gemeinsam mit vielen weiteren Akteur:innen im Rahmen des Beirats Innenstadt an Strategien und Lösungsansätzen. Die Aufstockung des Programms ‚Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren‘ von 25 auf 250 Mio. Euro ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.“ Zugleich verweist er auf die Chancen, die in der Krise der Städte und dem zunehmenden Online-Handel liegen: „Die Innenstadt und der Ortskern der Zukunft werden sich durch Nutzungsvielfalt und insbesondere durch eine größere Mischung von Einzelhandel, Kultur, Bildung, Aufenthaltsräume und Wohnen auszeichnen. Auf diesem Weg können wir unsere Innenstädte und Ortskerne als Plätze der Begegnung, Kommunikation und Lebensqualität wiederentdecken und neu beleben.

Stadt Essen: höchste kriminelle Clan-Belastung in NRW

Attraktive Innenstädte mit spannendem Einzelhandel, innovativen Wohnkonzepten und Kultur – klingt toll. Fast zu schön, um wahr zu sein. Und das ist es auch, solange Städte und Kommunen die Clan-Kriminalität nicht in den Griff bekommen. Denn wo sie existiert, ist der Ruf einer Stadt weit über die Stadtgrenzen hinaus dahin. Christian Kromberg kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Kromberg ist Wahlbeamter der Stadt Essen und verantwortet Recht, öffentliche Sicherheit und Ordnung. „Wenn Sie unterwegs sind und sagen, Sie kommen aus Essen, dann werden Sie in vielen Städten dieser Republik hören: ‚Bei euch ist doch Mord und Totschlag. Bei euch sind doch die Clans.‘ Für die Attraktivität und das Image einer Stadt ist so etwas sehr schädlich“, betont der 56-Jährige. Gleichzeitig räumt er jedoch ein Problem mit arabischen Clans ein.

„Essen hat in NRW die höchste Clan-Belastung, was Kriminalität angeht. Das ergeben aktuelle Statistiken des Landeskriminalamtes. Natürlich muss man differenzieren, denn das betrifft nicht die ganze Stadt. Es ist ein wahrzunehmendes Thema, sowohl, was die Kriminalitätsbelastung im objektiven Sinne angeht, als auch, was die Beeinträchtigung der subjektiven Sicherheit angeht“, so Kromberg. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass in den letzten Jahren viel gegen Clan-Kriminalität unternommen worden sei. Er spricht von der Strategie der 1000 Nadelstiche, von wöchentlichen Razzien und einem NRW-Innenminister Herbert Reul, der das Thema erst auf den Tisch gebracht habe.

Polizei nicht „von der Leine“ gelassen

Aber warum hat man es überhaupt so weit kommen lassen und die kriminellen Machenschaften der Clans über Jahre hinweg geduldet? Kromberg sagt: „Es gab politisch diesen Ansatz, dass wir doch selbst schuld seien, da wir die Menschen nicht in unsere Gesellschaft integriert hätten. Jede Art der Verfolgung wurde deshalb als Form von Diskriminierung abgetan. Alleine schon bestimmte sprachliche Formulierungen waren verpönt. Das Wort ‚Clan-Kriminalität‘ wurde einem auch aus den Ministerien heraus aus dem Mund gewaschen.“ Dies sei auch der Grund, warum die Polizei lange nicht „von der Leine“ gelassen worden sei.

Kromberg will nun nach vorne schauen und seine Heimatstadt, die er nur für das Jurastudium einige Jahre verlassen hat, in eine bessere Zukunft führen. Diese Aufgabe werde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, doch die entscheidenden Schritte habe er bereits klar vor Augen. „Wir müssen dem Thema Kriminalprävention in Essen einen ganz besonderen Stellenwert einräumen. Auch im Städtebau, damit sich die Bürgerinnen und Bürger an allen Orten, an denen sie sich bewegen, sicher fühlen. Jetzt gerade müssen wir das Licht ja überall ausschalten. Das wird bedeuten, dass bestimmte Orte zu Un-Orten werden und die Leute da nicht mehr hingehen“, sagt der Familienvater. Es brauche aber generell neue Lichtkonzepte, mehr Übersichtlichkeit und eine hohe Präsenz gut ausgebildeter Sicherheitskräfte.

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„Wir müssen dem Thema Kriminalprävention einen besonderen Stellenwert einräumen.“

Christian Kromberg ist am 31.08.1966 in Essen geboren und studierter Jurist. Als Wahlbeamter der Stadt Essen verantwortet er Recht, öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zudem ist er Vorsitzender von DEFUS (Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit e.V.). Kromberg ist verheiratet und hat einen 18-jährigen Sohn.

Damit alleine sei es jedoch noch nicht getan. „Wir müssen unsere Integrationsbemühungen verstärken, aber auch unsere Regeln klarmachen. Wir müssen viel mehr dafür tun, dass Migranten hier eine Heimat finden und eine Perspektive haben“, bekräftigt Kromberg, der auch für Abschiebungen zuständig ist. Auf der anderen Seite stellt er aber klar: „Wer in diesem Land gegen Recht und Gesetze verstößt, der muss dafür zur Verantwortung gezogen werden. Das fehlt mir oftmals bei den Strafverfolgungsbehörden. Aus meiner Sicht werden viel zu viele Verfahren eingestellt.“

Kriminalität als Folge des kommunalen Sparzwangs

Einer, der das gar nicht leugnet, ist Ralph Knispel. Der Oberstaatsanwalt aus Berlin ist zudem auch Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte e.V. (VBS) und hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel „Rechtsstaat am Ende“ veröffentlicht. Darin prangert er die mangelnde Funktionsfähigkeit des Strafrechtsstaates an. Seine Meinung hat er bis heute nicht geändert und sagt: „Wir kämpfen noch immer mit den Folgen des jahrelangen Spardiktates, das so-wohl die Polizei als auch die Justiz in die Knie gezwungen hat. Das Motto unter dem damals regierenden Bürgermeister Wowereit lautete ‚Sparen bis es quietscht‘ – und das tut es heute noch! Wir hatten hier mit unvertretbaren Personal-, Besoldungs- und Versorgungseinschnitten zu kämpfen, die die Funktionsfähigkeit der Garanten des Rechtsstaates nachhaltig beeinträchtigt haben.“ In der Folge hätten sich erhebliche Teile der Kriminalität in Berlin etablieren können. Die organisierte Kriminalität und auch die Clans zählen dazu. Diese würden „eine große Gefahr für den Rechtsstaat darstellen. Denn sie bewegen sich ungeachtet der deutschen Rechtslage nach eigenen Regeln, in denen wir als Strafverfolger und Gerichte keine oder allenfalls eine hinderliche Rolle spielen“, so Knispel weiter.

Dieser Zustand in der deutschen Hauptstadt wird auch in aller Öffentlichkeit sichtbar. Zwar möchte sich der 62-Jährige nicht an einer Diskussion um No-Go-Areas beteiligen, gibt aber unumwunden zu: „Es gibt Straßenzüge, in denen Polizeibediensteten unverhohlen offenbart wird, dass sie dort nichts zu bestellen hätten und verschwinden sollen. Und dabei reden wir nicht über Einzelfälle. In Berlin hat sich über Jahrzehnte eine migrantisch kriminelle Subkultur entwickelt, der staatlicherseits nicht mit der gebotenen Konsequenz begegnet worden ist.“ Knispel lobt derweil die von NRW ausgehenden und mittlerweile in der gesamten Bundesrepublik unternommenen Bemühungen, Clans und organisierter Kriminalität Herr zu werden.

„Und das mit durchaus beachtlichen Erfolgen, nicht zuletzt wegen der gesetzlichen Neuerungen zur Vermögensabschöpfung, die uns in Berlin in die Lage versetzt hat, beispielsweise 77 Immobilien einer amts- und gerichtsbekannten Clanfamilie zu beschlagnahmen“, erklärt Knispel, allerdings nicht ohne den Finger direkt wieder in die Wunde zu legen. „Trotz dieses konkreten Erfolges darf aber nicht verschwiegen werden, dass es hierzu eines immensen Aufwandes bedurfte, das heißt, das eingesetzte Personal in anderen Bereichen der Strafverfolgung gefehlt hat.“ Knispel, von der Berliner Tageszeitung „B.Z.“ einst als härtester Staatsanwalt der Stadt bezeichnet, sieht den Kampf gegen die Clans als Langstreckenlauf und das Ziel in weiter Ferne. Dennoch glaubt er, dass der Rechtsstaat gegen kriminelle Strukturen eines Tages wieder die Oberhand gewinnen wird. Die Frage nach dem Zeitpunkt müsse er jedoch offenlassen.

Wer sich mit innerstädtischer Sicherheit beschäftigt, kommt an der Polizei nicht vorbei. Immer wieder gerät sie insbesondere in Berlin in die Kritik. Zu lasch und veraltet soll die Polizei in der Hauptstadt sein. Kriminalitäts-Brennpunkte wie den Alexanderplatz oder das Kottbusser Tor bekam sie nur schwer in den Griff. Benjamin Jendro, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei in Berlin (GdP), kennt die Gründe: „In Berlin haben wir ein enormes Personaldefizit, das die Polizei zur stetigen Priorisierung zwingt. Wir schieben über zwei Millionen Überstunden vor uns her, haben einen Sanierungsstau bei Polizeidienststellen von über 1,4 Milliarden Euro. Die Palette an Problemen ließe sich ewig weiterführen.“ Zu schaffen mache ihnen außerdem die Politik, die mit dem Beschluss des LADAG (Landesantidiskriminie-rungsgesetzes) die Polizeiarbeit komplizierter und bürokratischer gemacht habe.

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„Wir kämpfen noch immer mit den Folgen des jahrelangen Spardiktates.“

Ralph Knispel, Jahrgang 1960, ist Oberstaatsanwalt in Berlin und Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte e.V. (VBS). Knispel ist verheiratet und lebt auch privat in der Hauptstadt.

Föderalismus erschwert systematische Kriminalitätsbekämpfung

Und als wenn das nicht schon genug wäre, rüsten die Clans und die organisierte Kriminalität weiter auf. „Ganz grundsätzlich ist Kriminalität heute komplexer, technischer, internationaler. Straftäter machen aber keinen Halt vor Landesgrenzen, so dass der sicherheitspolitische Flickenteppich in Folge der Föderalismusreform einen Nährboden für Straftaten bietet. Dem können wir nur mit einer besseren Vernetzung und Zusammenarbeit der Behörden entgegentreten“, so Jendro.

Auf die Frage, ob das „System Polizei“ gescheitert sei, antwortet er: „An sich hapert es schon an der begrifflichen Thematik, weil nicht klar ist, was das System Polizei sein soll. Wir haben in unserem Land 16 Landespolizeien und die Bundesbehörden (BKA, Bundespolizei etc.). Diese arbeiten unter unterschiedlichen gesetzlichen, ausrüstungstechnischen und finanziellen Gegebenheiten und auch unter unterschiedlichen politischen Vorgaben bzw. Schwerpunktsetzungen.

Und der Kampf gegen die Clan-Kriminalität in Berlin? Den könne die Polizei alleine sowieso nicht gewinnen. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Problematik, die nur in gemeinsamer Anstrengung bewältigt werden könne. Hierzu bedürfe es auch Anstrengungen in Schulen, Bezirken, Finanzämtern oder der Justiz. „Hinzu kommt aber vor allem auch der politische Willen und die Rückendeckung beim Kampf gegen Kriminalität“, so der Gewerkschafter.

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„Der sicherheitspolitische Flickenteppich ist ein Nährboden für Straftaten.“

Benjamin Jendro ist seit 2016 Sprecher der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. Er hat in Potsdam Germanistik studiert und von 2015 bis 2016 als Polizeireporter für „Bild“ und „B.Z.“ gearbeitet.

Resilienz der Städte bleibt Mammutaufgabe

Deutsche Städte resilienter zu gestalten und sie für die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit zu wappnen, bleibt eine Mammutaufgabe. In dieser Hinsicht sind sich alle Beobachter einig. Es bedarf des Zusammenwirkens der Management-Systeme Organisationaler Resilienz und einer Vision für die kommenden Jahrzehnte. Ob die Rettung unserer Städte gelingt? Die Zukunft wird es zeigen. Vorausgesetzt natürlich, dass es eine Zukunft für sie gibt. Doch was verstehen wir eigentlich unter resilienten Städten?

Christian Kromberg von der Stadt Essen sagt: „Wir müssen lernen, mit dem Versagen von Systemen besser umzugehen. Das gilt für staatliche Behörden, aber vor allen Dingen auch für die Bürgerinnen und Bürger. Erkennen, analysieren und bekämpfen – dieser Dreischritt ist relevant. Ein Großteil der Krisenverantwortung, also der Resilienz, liegt bei der Bevölkerung selbst. Es sind immer alle gefragt. Genau das würde für mich eine resiliente Stadt ausmachen.“

GdP-Sprecher Benjamin Jendro unterstreicht: „Grundsätzlich bedarf es von politischer Seite aber auch aus den Behörden heraus eines Verständnisses für die Notwendigkeit, sich mit den Fragen von morgen zu beschäftigen. In den meisten Behörden kommt es nur zur Reaktion auf Phänomene und dies meist sehr zeitverzögert, weil Entscheidungen getroffen und Gelder bereitgestellt werden müssen. Es wäre wichtiger, auch proaktiv tätig zu werden und die Bereiche der Inneren Sicherheit für die Zukunft auszurichten.“

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel fordert: „Es braucht eine uneingeschränkt konsequente Anwendung geltenden Rechts – und das gegenüber jeder Person, ungeachtet ihrer Herkunft. Diese Überzeugung muss sich in den Köpfen nicht nur der Amtsträger, sondern auch der Politik, Gesellschaft und Medien verfestigen. Dieses Fundaments bedarf es nämlich, um kriminellen Strukturen erfolgreich entgegenzutreten.“

Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund hebt hervor: „Resiliente Städte und Gemeinden zeichnen sich dadurch aus, dass sie für Krisen- und Katastrophenfälle ausgerüstet sind, widerstandsfähig reagieren und sich entsprechend nachhaltig anpassen können. Damit Kommunen adaptiv agieren können, müssen neben Fragen der Klimaanpassung viele weitere Handlungsfelder wie beispielsweise Handel, Mobilität, Digitalisierung, Energie- und Wasserversorgung sowie Demographie mitbedacht werden. Essenziell sind in diesem Kontext umfassende kommunale Handlungskompetenzen und eine ausreichende finanzielle Förderung, um unsere Städte und Gemeinden zukunftsfest gestalten zu können.“

Luca Cordes Redakteur und Autor
Autor

Luca Cordes

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