Skip to main content

Erfolgsfaktor: Krisenmanagement

Volker Strotmann, Abteilungsleiter Einsatz beim Technischen Hilfswerk (THW), war bei der Überflutung im Ahrtal vor Ort. Mit dem 22316_MAG spricht er über das Krisenmanagement des THW, die hohe Bedeutung ehrenamtlichen Engagements und bewegende Momente im Unglücksgebiet.

22316_MAG: Herr Strotmann, 2021 war das einsatzstärkste Jahr in der Geschichte des Technischen Hilfswerks. Wie ist Ihre Prognose? Wird die Anzahl Ihrer Einsätze auch in diesem Jahr steigen?

Volker Strotmann: Das Jahr ist noch nicht zu Ende. Aber bislang sieht es nicht so aus, dass wir 2022 mehr Einsätze als 2021 haben werden. Man kann Trends aber auch nicht an einzelnen Jahren festmachen. Hier muss man das langjährige Mittel betrachten. Über einen längeren Zeitraum betrachtet nehmen die Einsatzzahlen des THW tendenziell zu, auch wenn einzelne Jahre in der Statistik Ausreißer nach oben oder auch nach unten darstellen können.

 

Woran liegt das in Ihren Augen? Gibt es mehr Umweltkatastrophen, oder versagen die staatlichen Systeme (z.B. die zusammengesparte Bundeswehr) einfach immer häufiger?

Die Einsatzzahlen des THW allein sind kein guter Indikator für die Häufigkeit von Katastrophen. Das THW ist nur einer von mehreren Akteuren im Katastrophenschutz. Für eine Gesamtschau müsste man die Einsatzzahlen aller Akteure betrachten, denn je nach Art der Katastrophe werden die Organisationen unterschiedlich gefordert. Die vielen unterschiedlichen Herausforderungen der letzten Jahre haben alle Akteure sehr gefordert, Anzeichen für ein „Versagen“ der Systeme kann ich aber nicht sehen.

 

Um unverzüglich Hilfe leisten zu können, braucht es ein extrem gutes Krisenmanagement. Wie ist das THW organisiert, um in Katastrophenfällen wie der Flut im Ahrtal systematisch und schnell eingreifen zu können?

Entscheidend ist das ehrenamtliche Engagement unserer Helferinnen und Helfer, die permanent die Einsatzbereitschaft in den Ortsverbänden aufrechterhalten. Jeder Ortsverband – bundesweit haben wir 668 – verfügt über Alarmierungspläne und sorgt dafür, dass er im Fall der Fälle handlungsfähig ist. Nur auf dieser Basis ist es möglich, dass die zuständigen Leitstellen bei Bedarf das THW alarmieren und wir schnell helfen können.

 

„Nur mit einer fundierten Ausbildung sind komplexe Einsatzsituationen sicher beherrschbar“

 

Ohne vorherige Trainings scheint Ihre Arbeit in Unglücksgebieten undenkbar. Mit welchen konkreten Maßnahmen bereiten Sie sich auf Krisenszenarien vor?

Jede Helferin und jeder Helfer durchläuft im THW eine genau festgelegte Ausbildung. An die Erstausbildung, bei uns Grundausbildung genannt, schließen sich regelmäßige Trainings und Fortbildungen an. Die Organisation und Durchführung der Ausbildung ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der alltäglichen Arbeit in einem Ortsverband. Nur mit einer fundierten Ausbildung sind komplexe Einsatzsituationen sicher beherrschbar. Einsätze sind manchmal spektakulär, typisch für das ehrenamtliche Engagement im THW ist aber die Ausbildung. Hier wird die meiste Zeit investiert.

 

Gibt es eigentlich einen Krisenstab beim THW?

Natürlich. Jede Organisationseinheit bildet bei Bedarf nach einem festen Muster sogenannte Leitungs- und Koordinierungsstäbe, die miteinander an der Lagebewältigung arbeiten.

thw-krisenmanagement-ahrtal

Wie ist dieser Krisenstab aufgebaut?

Die Krisenstäbe des THW sind im Grundsatz genauso aufgebaut wie die Krisenstäbe der anderen Hilfsorganisationen. Wir sprechen immer von „Stäben“ und sechs „Stabsfunktionen“. Es gibt genau definierte Rollen, Zuständigkeiten und Abläufe, die in einer entsprechenden Vorschrift definiert sind. So ist z.B. die Stabsfunktion 2 dafür da, die Lageübersicht zu führen und aktuell zu halten und die Stabsfunktion 5 kümmert sich um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Dadurch, dass alle Akteure im Katastrophenschutz nach diesem Schema arbeiten, sind auch die Schnittstellen für die Zusammenarbeit definiert.

 

Blicken wir noch einmal zurück auf Ihren Einsatz im Ahrtal. Auch Sie sind nur ein Mensch und können trotz aller Professionalität Ihre Gefühle nicht abstellen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich an die Zerstörung und die Opfer erinnern?

Ich wohne ja nicht weit entfernt vom Ahrtal und kenne das Ahrtal gut. Bei mir ganz persönlich sind es einzelne Bilder der unglaublichen Zerstörungswucht des Wassers, die ich in der Erinnerung habe und natürlich das individuelle Schicksal von Bekannten, die im Ahrtal wohnen.

 

Gab es eine Begegnung oder einen bestimmten Moment, der sich besonders bei Ihnen eingeprägt hat?

Einen einzelnen Punkt kann ich nicht benennen. Es gab sehr viele sehr bewegende Momente. Das waren sowohl dramatische Schicksale von Betroffenen aber auch sehr bewegenden Momente der Hilfe. Die ersten Brückenschläge mit Behelfsbrücken waren beispielsweise für mich Zeichen der Hoffnung und Startschuss für einen Wiederaufbau.

 

volker-strotmann-in-thw-uniform

„Nach einem Einsatz ist immer auch vor einem Einsatz“

Volker Strotmann, Abteilungsleiter Einsatz beim Technisches Hilfswerk

Wenn wir über das Ahrtal sprechen, sprechen wir über eine absolute Ausnahmesituation. Kommt in solchen Einsätzen auch das Krisenmanagement des THW an Grenzen?

Ja. Der Schadensraum war ja auch deutlich größer als das Ahrtal. Auch entlang der Erft kam es zu heftigen Zerstörungen, beispielsweise in Bad Münstereifel und das auslösende Ereignis „Starkregen Tief Bernd“ hatte zunächst auch weite Teile Nordrhein-Westfalens und auch weitere Bundesländer betroffen. Eine solche Großlage zeigt Grenzen auf. Jeder Katastrophenschutz kommt irgendwann an seine Grenzen.

 

Freiwillige wollten ja ebenfalls helfen und sind zur Unterstützung ins Ahrtal gekommen. Wie ist es Ihnen gelungen, die Zusammenarbeit zu koordinieren?

Aus meiner Sicht hat die Integration von Spontanhelfenden im Ahrtal gut funktioniert. Hier muss man einzelnen Menschen, die spontan die Organisation übernommen und die Helfendenströme organisiert und gelenkt haben, ein großes Lob aussprechen. Als THW konnten wir uns so auf unsere Kernaufgaben konzentrieren.

 

Mittlerweile wird im Ahrtal am Wiederaufbau gearbeitet. Was passiert bei Ihnen nach einem solchen Großeinsatz? Gehen Sie anschließend in die Analyse und versuchen Ihr Krisenmanagement zu optimieren? Oder gibt es ein Ritual beim THW, welches das offizielle Ende eines Einsatzes markiert?

Nach einem Einsatz ist immer auch vor einem Einsatz. Wichtigste Aufgabe ist es, wieder einsatzfähig zu werden: Gerät muss gewartet und überholt, Vorräte müssen wieder aufgefüllt werden und Ersatzbeschaffungen sind einzuleiten. Dann ist es wichtig, dass sich die Einsatzkräfte etwas erholen können. Gleichzeitig startet die Auswertung des Einsatzes. So ein Großeinsatz klingt lange nach, ein Ritual zum Einsatzende gibt es daher nicht.

Fotoquelle: 
Technisches Hilfswerk (THW), Daniel Schriek

Luca Cordes Redakteur und Autor
Autor

Luca Cordes

Kommentar schreiben