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Erfolgsfaktor: Gemeinschaftssinn

Klimawandel, Corona-Pandemie, Wirtschafts-, Finanz- und Migrationskrisen, gesellschaftliche Umwälzungen und technologische Disruptionen: Viele Krisen beherrschen die Welt des 21. Jahrhunderts. All diese neuen Risikopotenziale machen den Umgang mit Unsicherheit zu einer Herkulesaufgabe der nächsten Jahrzehnte. Resilienz wird immer wichtiger werden – für den einzelnen Menschen, für Gesellschaften und für die Wirtschaft. Das Zukunftsinstitut Frankfurt hat in seiner Studie „Zukunftskraft Resilienz – Gewappnet für die Zeit der Krisen“ untersucht, welchen Bewusstseinswandel, welche Fähigkeiten und Zukunftskompetenzen es dazu braucht.

Die Coronakrise führt uns drastisch vor Augen, wie unser gewohntes Leben in einer komplex vernetzten Welt plötzlich aus den Fugen gerät. Diese Krise berührt sämtliche Lebensbereiche, wir bewegen uns in einer Phase gewaltiger Umbrüche, in der alte Normen und Werte ihre Bedeutung verlieren. Faktisch ist Leben mit der Unsicherheit Teil einer neuen Normalität geworden – und die Coronakrise ein Lehrstück, um Leben mit der Ungewissheit zu üben und damit umgehen zu können.

Das lenkt den Blick aber auch auf die konstruktiven Potenziale echter Krisen. Sie führen an einen Wendepunkt, der Entscheidungen erfordert: In welche Welt wollen wir? Festhalten am alten Status quo – oder den Aufbruch in die Neuerfindung wagen? Im Kontext der Coronakrise heißt das: Wollen wir zurück in eine unerbittliche Wachstumsgesellschaft, die persönliche, soziale und planetare Grenzen übersteigt? Oder kann es uns gelingen, die Welt besser, sozialer und regenerierbarer zu gestalten?

Surfen auf den Wellen der Unsicherheit

Die kommenden Jahre und Jahrzehnte stehen im Zeichen der Zukunftskraft Resilienz. Aus Sicht des Zukunftsinstituts können wir die globalen Umwälzungsprozesse meistern, wenn es uns gelingt, „Sicherheit als evolutionären und dynamischen Prozess zu verstehen, uns fortwährend an eine beständige Unbeständigkeit anpassen.“ Ein resilientes System pendelt nach einer Krise nicht in den alten Status quo zurück, sondern findet einen neuen Status quo in der Anpassung an neue Rahmenbedingungen. Der Wandel muss immer auch als Chance begriffen werden, weil er neue Möglichkeitsräume entstehen lässt.

Planet, Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft sind dabei keine isolierten Bereiche, sondern müssen hinsichtlich ihrer Resilienzfähigkeit ganzheitlich betrachtet werden. Schließlich existieren sie nicht nebeneinander, sondern miteinander und beeinflussen sich wechselseitig in komplexen Strukturen und Zusammenhängen. Der Mythos vom ewigen Wachstum, der die planetaren Grenzen angreift und die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt, sei schon vor der Pandemie immer klarer geworden, unterstreichen die Wissenschaftler; Corona sei nun ein Weckruf, der uns zu einem radikalen Umsteuern in allen gesellschaftlichen Aspekten auffordere. Die neuen Zukunftsfragen lauten: Wie können sich individuelle, soziale und organisationale Systeme gegen Unvorhergesehenes wappnen? Was stärkt die Überlebensfähigkeit in Krisenzeiten? Was stiftet systemischen Zusammenhalt?

Vom Einzelkämpfer zum sozialen Wesen: Aufbruch in die Wir-Gesellschaft

Zahlreiche Trends und Bewusstseinsänderungen innerhalb der Gesellschaft lassen bereits erkennen, dass Werte und Normen zunehmend hinterfragt oder als wirtschaftlich, sozial und ökologisch „unnachhaltig“ abgelehnt werden. Der menschengemachte Kllimawandel und seine gravierenden Folgen stehen ebenso dafür wie der Wachstumszwang der Old Economy nach dem Motto „Immer mehr, immer höher, immer weiter“. Die Fridays-for-future-Bewegung hat mit dazu beigetragen, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs anzuheizen. Dieser befasst sich mit einem riesigen Themenspektrum: Es geht um mehr Lebensqualität, um soziale Verbundenheit, Solidarität, Generationengerechtigkeit, soziale Verantwortung, um lebenswerte und umweltgerechtere Stadtplanung, neue Ökonomie und flexiblere, autonomere Arbeitsgestaltung, um mehr Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften.

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In einer global vernetzten Welt rückt die Fähigkeit, adaptiv auf Krisen zu reagieren, ins Zentrum des Unternehmertums.“

Christian Schuldt, Soziologe und Studienleiter beim Zukunftsinstitut

Der Mensch ist laut Studie gefordert, sich in diesen Kontexten wieder als soziales Wesen zu begreifen, sein Einzelkämpfertum und seinen wettbewerbsorientierten „Selbstoptimierungswahn“ aufzugeben zugunsten mitmenschlicher Verbindungen, die seine Resilienz stärken können. Die Kernaussage lautet: Die großen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht auf individueller Ebene lösen. Auch die gesellschaftliche Resilienz beruht im Kern darauf, Verbindungen zu schaffen. Die Idee des solidarischen „Wir“ ist während der Coronakrise populär geworden und birgt aus Sicht der Forscher viele Potenziale für eine Stärkung der Sicherheit in einer vernetzten Gesellschaft. Dies auch auf globaler Ebene: Neue Revolten gegen Despoten, die Abwahl Donald Trumps, der „New Green Deal“ und die (freiwilligen) Verpflichtungen vieler Städte und Länder zu einer CO2-freien Zukunft weisen auf einen Bewusstseinswandel hin, der in einer gespaltenen Gesellschaft neuen Zusammenhalt stiften könnte.

Organisationale Resilienz: Abschied vom „business as usual“

Dies gilt ebenso für die Wirtschaft und Arbeitswelt. Die epochalen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen machen klar: Die nächste Ökonomie zielt auf Resilienz statt auf Effizienz. Die Ära des kontinuierlichen Wachstums, bloße operative Exzellenz und Komplexitätsreduktion sind nach Ansicht der Studienautoren die falschen Instrumente für den Umgang mit systemischen Krisen. Um sich für eine hochkomplexe und riskante Umwelt aufzustellen, müsse die Wirtschaft den Bereich des Gewohnten verlassen. Angesichts unterschiedlichster Krisen werde in Zukunft die systematische Anpassungsfähigkeit wichtiger sein als den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten.

Zunehmend konzentriert sich die Diskussion auf neue Dimensionen der Wertschöpfung, auf ein qualitatives Wachstum. In der Ära der Resilienz kommt Unternehmen eine neue Verantwortung zu. Anstatt passiv auf veränderte Konsumbedürfnisse zu reagieren, sind Unternehmen aufgerufen, proaktiv zur Lösung gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen beizutragen. Damit werden die Grenzen der gegenwärtigen Betriebswirtschaft gesprengt: Die „Next Generation of Business“ zielt laut Studie auf langfristiges Überleben – statt auf kurzfristigen Gewinn, sie denkt in Netzwerken und Ökosystemen statt in Ego-Systemen. Und sie agiert ganzheitlich und systemisch, um eine positive Wirkung auf die Welt zu erzeugen – statt ihr Wertversprechen nur in KPIs (Key Performance Indikator bzw. Leistungskennzahl) und Buyer Personas zu messen. Im Zentrum steht ein Wirtschaftsverständnis, das Unternehmen als das betrachtet, was sie im Kern sind: soziale Systeme.

Unternehmenskultur stärken und Resilienz leben

Der Wertewandel, der dafür benötigt wird, beginnt bei der Frage nach dem Sinn und Zweck eines Unternehmens. „Die Resilienz eines Unternehmens wurzelt in seiner Kultur“, sagt Studienleiter Christian Schuldt. Alles, was Organisationen brauchen, um sich in volatilen Zeiten zukunftsfähiger und sicherer aufzustellen, basiere im Kern auf einem starken kollektiven Zusammenhalt. Das stabile Gerüst dafür bilden gemeinsam geteilte Werte und Denkweisen aller Mitarbeitenden, ein gemeinsamer Richtungssinn, der klar macht, wohin die Entwicklung geht und welche Wirkungen erzielt werden sollen. Diese innere Stärke bildet das Fundament für Widerstandsfähigkeit und Flexibilität – die zentralen Resilienzfaktoren in einer sich immer schneller wandelnden Welt.

Eine elementare Rolle spielt in diesem Kontext der Faktor Vertrauen. Resiliente Unternehmen brauchen Mitarbeitende, die Eigenverantwortung übernehmen wollen und dürfen – und Führungskräfte, die Verantwortung abgeben und Nähe zulassen. Der CEO von morgen ist ein „Communicator-in-Chief“, der Ideen zulässt, fördert und umsetzt. Eine Faustformel für mehr organisatorische Resilienz lautet: Veränderung erlauben und Experimentierfreude belohnen, um ein positives und vertrauensvolles Miteinander zu schaffen und einen konstruktiven Umgang mit Fehlern zu ermöglichen. Nur so gelingt im Krisenfall auch der Sprung in die kreative Neuerfindung.

„Unter resilienten Vorzeichen ist Innovation dabei nicht punktuell, sondern als ständiger Prozess zu verstehen, bei dem das große Ganze im Blick bleibt“, so Schuldt. Innovation sei dann nicht mehr auf den Kontext des Marktes beschränkt, sondern stelle konsequent die Beziehung zu Gesellschaft, Mensch und Natur ins Zentrum: „Innovationen von morgen sind Sinnovationen, die auf eine bessere, vitalere Zukunft zielen“. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise führt Unternehmen zurück zu ihrer eigentlichen Bestimmung, als soziale Systeme einen nachhaltigen sozialen Nutzen für die Gesellschaft zu stiften.

Cover Studie Zukunftskraft Resilienz

Quelle:

Studie „Zukunftskraft Resilienz – Gewappnet für die Zeit der Krisen“
Herausgeber: Zukunftsinstitut GmbH
Erschienen im September 2021/148 Seiten
ISBN: 978-3-945647-84-4
225,00 Euro inkl. USt.
Online-Version zu bestellen: https://onlineshop.zukunftsinstitut.de

Bilder:

Porträt Christian Schuldt + Mock-Up Studie, Zukunftsinstitut GmbH

Autorin

Brigitte Oltmanns