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Erfolgsfaktor Mut: „Die große Kunst besteht darin, mit den eigenen Unsicherheiten umzugehen!“

Seit Corona fürchten Unternehmen um ihre Zukunft. Im 22316_MAG erklärt Psychologe Carl E Gross, welche Ängste existieren – und was gut an ihnen ist.

22316_MAG: Herr Gross, die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie fragil unser Wirtschaftssystem ist und wie schnell Unternehmen in ihrer Existenz bedroht sind. Angst hatten in den letzten Monaten auch Führungskräfte, die ja eigentlich mutig voran gehen sollen. Welche Folgen entstehen daraus für Unternehmen?

Carl E Gross: Ich schätze, dass nur 5 von 100 Menschen überhaupt weit voraus denken können und wollen: Hoffentlich sind dies die Führungskräfte, die mit der Zukunft unserer Unternehmen (auch des Staates!) betraut werden. Sind diese Menschen unverhältnismäßig stark verunsichert, können sie nicht logisch denken und verursachen auch Verwirrung bei ihren Mitarbeitern. Eine Kettenreaktion entsteht: Das Unterfangen ist destabilisiert und bekommt offene Flanken.

Gibt es denn auch etwas, das unsere Gesellschaft aus der Corona-Krise lernen kann?

Wenn man das Gesamtbild sieht, ist die Corona-Krise wie eine Warnung: Die Art zu leben – grenzenloses Reisen, respektlose Ausbeutung, Globalisierung a là „alles meins“ – fordert ihren Preis. Nur wenn wir unsere Ökonomie in die sie umgebende Ökologie hineinfügen sind wir Menschen mehr als „ein Tropfen auf dem heißen Stein“ der Erdengeschichte!

 

„Die wohl größte Befürchtung ist, dass alles den Bach runtergeht“

 

Können Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung die größte Verunsicherung benennen, die derzeit in Unternehmen um sich greift?

Klar: Dass alles den Bach runtergeht. Es gilt das immer gleiche Prinzip: ein Produkt konzipieren und herstellen mit dem Ziel, es an den Markt zu bringen. Die Befürchtung ist, dass das Produkt nicht (mehr) gefragt ist oder nicht mehr hergestellt werden kann, z.B. aufgrund von fehlenden Fachkräften oder Zulieferengpässen.

Welche individuellen, persönlichen Verunsicherungen haben krisenbedingt Einfluss auf ein Unternehmen?

Erkrankung, Verdienstausfall, Entlassung. Zudem wird unsere Psychohygiene (Diversität der sozialen Kontakte) im Lockdown in den Hintergrund gedrängt. Für die meisten Menschen wird es furchtbar, sich nicht sozial ausleben zu können. Menschen werden zurückgeworfen auf ihre oft schon spannungsgeladenen Kernbeziehungen – ohne übliche Ausweichmöglichkeiten. Diese negative Spannung überträgt sich auf das Miteinander im Unternehmen.

Welche Gefahr birgt diese psychische Anspannung, die durch die Pandemie verursacht wird?

Es kommt zu erhöhten Mangelreaktionen, wie laute Auseinandersetzungen, auch zu Aggressionen und Gewalt. Die Opfer sind vorwiegend Frauen und Kinder – und schwächere Mitarbeiter! Die Folgegeneration wird stark verunsichert. Aber das ist ein neues Thema …. Warum die Aggression? Die Neurowissenschaft weist eindeutig nach, dass Menschen Belastungen viel schwerer aushalten, wenn sie unter ihrem gewohnten Level agieren müssen oder dies befürchten – sei es emotional (z.B. weniger Begegnungen, keine Eckkneipe, stressiger Arbeitslatz) oder finanziell (z.B. Erkrankung, Verdienstausfall, Entlassung). Es kommt zu einer erhöhten und schwer kontrollierbaren Cortisolproduktion, die das geordnete Gehirn durcheinanderbringt. Menschen antizipieren dann Armut, Hunger, etc., selbst wenn noch keine reale Gefahr besteht, was leicht zu derartig panisch-aggressiven Reaktionen führt.

Was ist der beste Ansatz, um mit Verunsicherung im eigenen Unternehmen umzugehen?

Ja, strategisch zu fühlen, taktisch zu denken, und verantwortungsvoll zu handeln – das ist real und langfristig erfolgreich. Und genau das praktizieren wir mit Neuro-Coaching in Unternehmen mit ihren Führungskräften und Mitarbeitern. Die Vergangenheit verrät Schwächen und Stärken, der Blick in die Zukunft zeigt Ziele auf: das Ziel glaubhaft erreichen wollen, die „roadmap“ strategisch planen, dabei nachhaltig handeln. „Prime the pump“, d.h. alles so vorbereiten, dass es losgehen kann.

 

Allen als mündigen Bürgern begegnen und Ziele in Herausforderungen umwandeln“

 

Könnten Sie das näher erläutern?

Eine rosarote Brille täuscht nur! Das ist schließlich ihre Aufgabe. Wir dagegen betrachten mit Entscheidungsträgern die Ziele und ihre offen kommunizierbare Umsetzung, die strategisch und taktisch mit allen relevanten Mitwirkenden (einschließlich Kunden!) geteilt werden. Niemandem als unmündig, allen als mündigen Bürgern begegnen, die – hirntechnisch betrachtet – lieber die Wahrheit ertragen und sich entscheiden können, als im Albtraum aufzuwachen. Beim Neuro-Coaching geht es darum, Unsicherheit zu beseitigen, um Schaden durch Überforderung zu vermeiden. Führungskräfte konzentrieren sich darauf, Ziele in Herausforderungen umzuwandeln, die Mitwirkende umsetzen können.

Angst kann also einen sinnvollen Charakter haben?

Ja! Lassen Sie uns „Angst“ jedoch durch „panic peaks“ ersetzen. Sie schlagen in der Regel nur begrenzt aus, wenn wir ohne Täuschung realistisch bleiben. Sie enthalten wichtige Hinweise, die uns zur Lösung führen. Und genau darin besteht die große Kunst: Mit den eigenen Verunsicherungen und „panic peaks“ umzugehen und zu wissen: Ich funktioniere, wir funktionieren hervorragend in tausend anderen Bereichen. Und bei angstfreier, ruhiger, mutiger Betrachtung entstehen aus genau diesen anderen Bereichen die Lösungen, die das Unternehmen wieder ins ruhige, erfolgreiche Fahrwasser führen.

Bild:

Carl E Gross

Leonie Storek
Autorin

Leonie Storek