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Erfolgsfaktor Akzeptanz: Narben sind Zeichen eines Prozesses wertvoller Neuausrichtung

Miriam Höller hat alles verloren – und ihren eigenen Weg aus der Krise gefunden. Dem 22316_MAG verriet sie, was Unternehmen von ihr lernen können.

Miriam Höller

22316_MAG: Frau Höller, durch die Castingshow „Germany´s next Topmodel“ und als Stuntfrau sind Sie bekannt geworden, heute arbeiten Sie als Speakerin, Moderatorin und Unternehmerin. Wie würden Sie sich jemandem vorstellen, der Sie nicht aus dem Fernsehen kennt?

Miriam Höller: Ich bin ein Mädchen vom Land, das Actionheldin werden wollte und das sich diesen Traum auch erfüllt hat. Mein Wissen aus über zehn Jahren in einem höchst riskanten Beruf und meine Rückschläge nutze ich heute, um in meinen Vorträgen Menschen und Unternehmen zu ermutigen, niemals aufzugeben, strategisch ungewünschte Veränderungen für sich zu nutzen und an jeder Herausforderung zu wachsen.

 

Sie waren stets erfolgsverwöhnt, vollführten atemberaubende Stunts in großen TV-Produktionen, standen vor der Kamera und gründeten Ihr eigenes Unternehmen. Dann kam Ihr Schicksalsjahr 2016.

Es stimmt, aber erfolgsverwöhnt war mein Leben nur, weil ich schon sehr früh lernte, aus drastischen Richtungswechseln den größtmöglichen Profit zu ziehen. Das fing schon als Jugendliche an, als mir ein Gendefekt diagnostiziert wurde. Die Hormontherapie, mit der meine Großwüchsigkeit behandelt wurde, verkürzte meine Pubertät auf sechs Monate. Ich begann mit 15 Jahren meinen beruflichen Werdegang, baute mir in kleinen Schritten meine Karriere auf und wurde mit viel Fleiß, Mut und Willensstärke vom Landei zur Stuntfrau. Ein Jahrzehnt durfte ich dann meine Passion leben: gefährliche Situationen zu kalkulieren, um sie kontrollieren zu können. Ich wurde von Autos angefahren, sprang aus Helikoptern oder stand von Kopf bis Fuß in Flammen. Ich liebte es. Dann hatte ich einen Stunteinsatz, der für mich als erfahrene Stuntfrau nicht dramatisch oder riskant erschien. Ich sollte unter einem Helikopter hängen und von dort aus abspringen. Das Ganze ging viele Male gut. Der letzte Versuch allerdings nicht.

 

Was war passiert?

Der Helikopter war ein Stück zu hoch, meine Konzentration am Anschlag und meine Muskeln erschöpft. Ich stürzte mit meinen High Heels, brach mir mehrfach den rechten Mittelfuß und zertrümmerte mir den Linken. Das war mein Karriereende. Mein größter Halt in der Zeit von Operationen und Reha war Hannes Arch, mein langjähriger Lebensgefährte. Doch sechs Wochen nach meinem Unfall, ich saß noch immer im Rollstuhl, stürzte Hannes mit seinem Helikopter ab und verunglückte tödlich (Anmerkung der Red.: Hannes Arch war ein bekannter österreichischer Kunstflugpilot). Innerhalb kürzester Zeit verlor ich meine Gesundheit, die Grundlage meines Berufes, meinen Lebenspartner und somit alles, was ich mir mühsam beruflich und privat aufgebaut hatte. Die Rückschläge nahmen mir meine Lebensenergie, meine Ziele und das Vertrauen ins Leben.

 

„Ich wollte diese mich niederschmetternden Gefühle nicht“

 

Viele Menschen beschreiben eine Krise in Bildern. Vom „Tal der Tränen“ ist oft die Rede oder von einem „tiefen Loch“. Welches Bild zeichnen Sie, wenn Sie auf diese schwere Zeit zurückblicken?

Da muss ich kurz ausholen und von meiner Leidenschaft für das Fallschirmspringen berichten. Es faszinierte mich, frei zu fallen, die Arme als Flügel zu nutzen und wie ein Vogel dorthin zu fliegen, wo ich hin will. Ich entwickelte daraufhin mein Markenzeichen: meine Feuerflügel, die mich als Person gut beschreiben. Eine starke, selbstbewusste und zielstrebige Frau, die Feuer und Flamme für die Gefahr und das Abenteuer ist, die ihre Flügel ausbreitet, unabhängig und frei ihr Leben gestaltet, Neues erkundet, Grenzen überschreitet und stets ihren Horizont erweitert. 2016 war die Kraft dieses Bildes verschwunden. Ich hatte meine Identität verloren und lag mit gebrochenen, abgebrannten Flügeln am Boden. Ich musste beschwerlich wieder lernen, meine Flügel zu nutzen und mein Feuer neu zu entfachen. Somit würde ich meine Lebensgeschichte wohl immer mit dem Mythos „Phönix aus der Asche“ beschreiben.

Bleiben wir doch einmal bei diesem Bild: Was war Ihr erster Schritt, um wieder „abzuheben“ und Ihre Lebenskrise hinter sich zu lassen?

Es ist wichtig, richtig zu trauern. Wenn wir ­etwas verlieren, ob es unsere Gesundheit, unser Partner, Geld oder unser Job ist, gehen wir durch einen Prozess, der von Egoismus geprägt ist. In der Opferrolle konzentrieren wir uns auf das, was wir verloren haben. In diesem Prozess geht es aber darum, über das Verdrängen, die Wut, das Verstehen und die Depressionen irgendwann zur Akzeptanz zu kommen. Ich wollte diese mich niederschmetternden Gefühle nicht. Ich wollte sie „überspringen“, um schnellstmöglich wieder in meine Kraft, Leichtigkeit und Lebensfreude zurückzukommen. Der Schmerz macht allerdings seine eigenen ­Regeln, Emotionen nehmen sich ihren Raum, ­und unsere Aufgabe ist es, sie wahrzunehmen und zu leben. Dieser Prozess kann Jahre dauern.

 

In schweren Zeiten hilft oft die Musik. Gab ­es Titel, die Sie während dieses Prozesses begleitet haben?

Ja, ich habe mir eine Musikliste zusammengestellt, die es mir bis heute erlaubt, mich tief in meine Gefühle fallen zu lassen, die mich aber auch immer wieder herausholt. Ein Beispiel: „Release“ von Pearl Jam ist für mich ein Song voller Wut, Enttäuschung und dem Wunsch, endlich vom Schmerz befreit zu werden. Man muss durch den Schmerz durch, um die Leichtigkeit und das Glück wieder zu spüren. Nach den „Wut-Songs“ bin ich völlig erschöpft vom Weinen, sehne mich wieder nach Lachen und Freude und spiele Songs, die voller Hoffnung und Zuversicht sind. „Broken Wings“ von Mr. Mister etwa. Im nächsten Schritt brauche ich Power, um meinen Körper und Geist zu aktivieren und zu stärken. Ich gehe in die Natur und mache Sport beispielsweise mit dem Song „Wish You Were Here“ von Incubus. Es gibt über die Musik hinaus viele Dinge, mit denen wir unsere Gefühle, Gedanken und unser Handeln beeinflussen können. Ich habe den Status der Akzeptanz schon vor längerer Zeit erreicht. Die Musikliste nehme ich nur noch selten zur Hand und wenn, dann weiß ich mein Emotionsspektrum zu schätzen und genieße die Gefühle, die ich erleben durfte und immer noch fühle. Sie sind Zeichen von tiefer Liebe und Verlangen und helfen mir dabei, mich darauf zu konzentrieren, was geblieben ist.

 

Sie haben von jetzt auf gleich Ihre große Liebe und Ihren Beruf verloren. Was genau ist Ihnen denn geblieben?

Mit dieser Frage habe ich mich lange beschäftigt. Es blieben meines Erachtens nur noch die ­Attribute, die mich als Kind schon ausgemacht hatten. Ich musste mich aus genau diesen Attri­buten neu erfinden, quasi eine neue Miriam ­erschaffen. Das gelang mir mit viel Selbstliebe, Achtsamkeit und einem liebevollen Umfeld, das mich in meinem Plan unterstützt hat.

 

„Leider muss meist erst etwas Schlimmes passieren“

 

Glauben Sie eigentlich an Gott und haben Sie ­in Ihren dunkelsten Stunden das Wort an ihn ­gerichtet?

Weil ich katholisch erzogen bin und in meiner Tiefphase sehr viel Wut und Enttäuschung loswerden musste, habe ich mit Gott gesprochen.

In meinem Selbstmitleid habe ich ihm Fragen gestellt wie: „Warum tust du mir das an? Ich habe nie etwas Böses getan, dass du mir so etwas antust.“ Oder ich habe auf ihn geschimpft und ihm gesagt, dass er mich ebenfalls zu sich holen soll, damit ich ihm ins Gesicht sagen kann, was für ein verdammter Volltrottel er ist. Sobald ich wieder einigermaßen klar denken konnte, stellte ich meinen Glauben in Frage und ob es mich im Leben weiterbringt, Verantwortung an jemanden abzugeben, der nicht sichtbar oder greifbar ist. Ich entschloss mich dagegen und glaube seither lieber an mich selbst.

 

Vor Ihrer Krise bezeichneten Sie sich selbst als „unaufhaltbar, stark und erfolgreich“. ­Welche drei Adjektive würden Sie heute, fünf Jahre ­später, wählen?

Ja, das stimmt, es gab Zeiten, in denen fühlte ich mich genau so. Meine Beziehung, meine Freunde, meine Familie, meine Gesundheit, mein Beruf, meine Lebensqualität – all das war wertvoll aufgestellt. Meine Lebensstruktur war stark und stabil. Nachdem ich nun eine Generalüberholung meines Lebens hinter mir habe, würde ich mich heute als bewusst, mutig und resilient bezeichnen.

 

Resilienz ist ein gutes Stichwort. Wie hat die ­Krise Sie als Mensch verändert?

Ich habe einen großen Teil meiner Leichtigkeit abgegeben. Im Leben ist es allerdings immer so, dass du Raum für Neues schaffst, wenn du etwas abgibst oder verlierst. Die Leichtigkeit habe ich nun durch Bewusstsein ersetzt und das ist etwas sehr Wertvolles. Mein Leben war schnell, abenteuerlich und verrückt, heute bleibe ich gerne mal stehen und genieße die vielen kleinen Wunder auf der Welt. Ich lebe viel konsequenter, habe verstanden, dass die Zeit das Wertvollste ist, was jeder Einzelne von uns hat. Es war wirklich hart, das Vertrauen ins Leben wiederzufinden. Und das gelang mir, als ich realisierte, dass jede Enttäuschung ein Aufdecken einer Täuschung ist und somit ein Klarheitsprozess. Heute ist es ein schönes Gefühl, genau zu wissen, in wen und in was ich meine Zeit investiere. Wir sitzen alle im gleichen Flugzeug, wenn es um die größte Herausforderung überhaupt geht: das Leben. Leider muss meist erst etwas Schlimmes passieren, bis wir uns, unser Umfeld, unsere Ziele und Lebensweisen hinterfragen und anfangen, konsequent und bewusst zu leben.

 

Können Sie rückblickend die drei wichtigsten Faktoren definieren, die Ihnen aus der Krise geholfen haben?

Ja. Es hat mir geholfen, viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen und mir den Wert meiner Wurzeln bewusst zu machen. Auch umgeben von Menschen zu sein, die den selben Weg schon gegangen sind und mir somit in meinen Gedanken voraus waren. Menschen, die meinen Schmerz nachempfinden und mir helfen konnten, Sichtweisen zu ändern. Das Umfeld spielt also eine große Rolle. Man braucht positive Menschen und Vorbilder um sich, die einen wieder auf die schönen Dinge im Leben aufmerksam machen. Neue Ziele waren für mich ebenso wichtig. Gründe zu finden morgens aufzustehen. Erst kleine Ziele, wie eine Sache am Tag zu finden, die mich zum Grinsen bringt. Später größere Ziele, wie das Laufen neu zu erlernen. Es ist wichtig, immer in Bewegung zu bleiben, um besonderen Menschen und wunderschönen Momenten die Chance zu geben dich täglich zu treffen. Das richtige Mindset ist wohl der Grundstein für jeden Neuanfang. Ich habe mir jeden Tag gesagt: „Miriam, dein Comeback wird stärker sein als dein Rückschlag.“ Ich arbeitete an meinem Selbstvertrauen, ich brachte Klarheit in mein Leben und strukturiere bis heute jeden Tag, ausgerichtet auf das Glücklichsein.

 

„Narben sind Zeichen eines Prozesses wertvoller Neuausrichtung“

 

Sie haben gerade erwähnt, wie wichtig das ­richtige Mindset ist. Wie bleiben Sie in turbu­lenten Zeiten klar und fokussiert im Kopf?

Jeden Abend mache ich mir einen Plan für den kommenden Tag. Alles ist durchgetaktet und genau strukturiert. Meetings, Telefonate, Fahr- und Mahlzeiten, aber auch genauso Auszeiten, um in dem ganzen Alltagsstress nicht den Überblick zu verlieren. In der Natur und beim Sport habe ich meine besten Ideen, hier kann ich Emotionen leben und neue Kraft für die weiteren Stunden schöpfen. Ich habe schmerzhaft erfahren, wie verletzlich ich bin. Obwohl ich immer gedacht habe, dass ununterbrochenes Leisten mich zu Glück und Erfolg führt, weiß ich heute, dass gerade die Ruhephasen wichtig für Fokus und Wachstum sind. Narben sind vermeintliche Zeichen von Schwäche und Verwundbarkeit, doch es sind Zeichen eines Prozesses von wertvollerer Neuausrichtung und klarerem Fokus. Meine Narben auf der Haut und auf meiner Seele trage ich daher heute mit viel Respekt vor mir selbst. Zu wissen, dass du genau an dem wachsen kannst, was scheinbar versucht, dich zu zerstören, ist ein sehr ermutigendes Gefühl.

Moderatorin

Mittlerweile treten Sie als Keynote-Speakerin auf und schreiben auf Ihrer Website, dass sich nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen in ­einer trügerischen Sicherheit wiegen, die es eigentlich gar nicht gibt. Was können Unter­nehmen von Ihnen persönlich lernen?

Nichts im Leben ist statisch. Veränderung ist die einzige Konstante, die wir haben. Wir leben in einer Zeit, die sich so schnell verändert, dass es uns oftmals überfordert. Gerade aber in der Veränderung liegt die Möglichkeit zu wachsen. Das gilt natürlich auch für Unternehmen. Dafür braucht es insbesondere Optimismus und Mut. Die Menschen, die sich sträuben, kommen irgendwann nicht mehr hinterher. Die flexiblen Menschen nutzen die Veränderungen für sich. Das Leben fragt nicht, ob du diese Veränderung willst. Es ist eine Aufgabe, die wir als Herausforderung sehen sollten, erfolgreicher, glücklicher und freier zu werden. Jede Minute, in der wir meckern, jammern oder jemanden für die Situation verantwortlich machen, ist eine vergebene Minute, Neues zu erschaffen. Es gibt Dinge, die wir im Leben nicht ändern können. Das bedeutet, wir müssen sie akzeptieren, mutig und schnell entscheiden und diesen Weg konsequent gehen. Eigenverantwortung und Umdenken sind angesagt. In der Krise zeigt sich, wer der Angst vor Unsicherheit nachgibt und passiv in der Routine verweilt oder wer mutig der Unsicherheit begegnet, um sie aktiv und eigenverantwortlich als Chance zu nutzen.

 

Definieren Sie Ihre persönlichen Erfolge und Niederlagen heute, nach all den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, eigentlich anders?

Oh ja. Jede Niederlage ist für etwas gut. Und wenn sie nur dafür da ist, den Erfolg zu schätzen. Wenn man in der Niederlage steckt und sich zurückkämpfen muss, ist man ziemlich beschäftigt. Erst später realisiert man, was man eigentlich geleistet hat. Ich finde Niederlagen ziemlich spannend, denn wirklich verlieren tut man nie. Ich habe aus jeder Niederlage viel lernen können, über meine Persönlichkeit, mein Business oder Partnerschaften. Solange man einen Fehler nicht zweimal macht, können Niederlagen sogar Spaß machen. Es geht doch immer um Wachstum. Wie langweilig wäre das Leben, wenn die Zeit keine Rolle spielen würde, wir schon wüssten, wie es verläuft, wenn wir unverändert erfolgreich, reich, schön und gesund wären. Wachstum geschieht in Tiefphasen. Erst der Tod lässt das Leben wertvoll erscheinen, der Misserfolg den Erfolg und der Verlust die Erinnerung.

 

Gegenüber Krisen scheinen Sie mittlerweile tatsächlich sehr resilient zu sein. Dennoch sind Sie ja immer noch ein ganz normaler Mensch, dem nicht alles gelingt. Worin wären Sie gerne besser und erfolgreicher, als Sie es aktuell sind?

Ich war nie sehr geduldig. Wenn ich mir etwas vornehme, will ich es sofort umsetzen und direkt erfolgreich sein. Die Enttäuschung ist groß, wenn ich die hohen Ansprüche an mich dann nicht im gewünschten Tempo erfüllen kann. Meine Ungeduld hält meine Motivation hoch, ich darf aber noch lernen, meinen Perfektionismus abzulegen und etwas sanftmütiger zu mir zu sein.

Miriam Höller

Info: Miriam Höller wurde am 27. Juni 1987 in Mülheim an der Ruhr geboren. Sie arbeitete als Stuntfrau und wurde einem breiten Publikum 2010 durch ihre Teilnahme an der ProSieben-Show „Germany´s next Topmodel“ bekannt. Nach ihrem schweren Unfall im Jahr 2016 fokussierte sich Höller auf ihre Karriere als TV-Moderatorin. Außerdem ist sie als Speakerin aktiv und inspiriert mit ihrer Geschichte Menschen und Unternehmen dazu, Veränderungen anzunehmen und an sich selbst zu wachsen.

Bilder:

Jan Kapitän

Luca Cordes Redakteur und Autor
Autor

Luca Cordes