Erfolgsfaktor: Unternehmensnachfolge
Familienunternehmen gelten als Fundament und Stabilitätsfaktor der deutschen Wirtschaft: Zugleich sind sie ein höchst sensibles Geflecht aus Emotionen, Erwartungen und Verantwortung. Die systemische Business-Coachin und Organisationsentwicklerin Verena Arnhold begleitet seit vielen Jahren Nachfolgeprozesse. Im Interview mit dem 22316_MAG spricht sie über die besondere Komplexität von Unternehmerfamilien, warum Loslassen und Annehmen gleichermaßen schwerfallen – und weshalb es so wichtig ist, Zweifel, Ängste und Erwartungen offen anzusprechen.
22316_MAG: Frau Arnhold, Familienunternehmen werden oft als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Welche Assoziation kommt Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an diese Organisationsform denken?
Verena Arnhold: Komplexität! Menschen und Unternehmen sind schon für sich genommen komplexe Gebilde, einfache Lösungen gibt es selten. In Familienunternehmen kommen dann noch zwei Logiken zusammen: die Beziehungslogik der Familie und die Unternehmenslogik, die nach Kompetenz und Leistung fragt. Diese widersprechen sich häufig – während in der Familie Zugehörigkeit „per Geburt“ zählt, braucht das Unternehmen die fachlich beste Person für eine Rolle. Allein daran zeigt sich, wie störungsanfällig diese Systeme sein können. Gleichzeitig liegt darin eine enorme Stärke: ein hochsensibles und zugleich robustes Konstrukt, das uns in unserer Arbeit immer wieder fasziniert.
In Ihrem Alltag begleiten Sie Nachfolgeprozesse. Welche Seite geht öfter auf Sie zu: die, die die Nachfolge antreten soll, oder die, die die Unternehmensleitung abgeben möchte?
Es sind beide Seiten, aber etwas häufiger die Nachfolgenden, die sich externe Begleitung wünschen – manchmal angestoßen durch Verwandte oder PartnerInnen, die merken, dass es Zeit für ein Gespräch wäre. Die Jüngeren stehen meist in der eigenen Lebensplanung und vor einer großen Entscheidung. Die Älteren wollen ihr Lebenswerk übergeben, wissen aber häufig nicht genau, wie sie den Prozess für sich selbst gut gestalten können. Loslassen fällt vielen schwer, und gerade deshalb sind sie zurückhaltender, externe Hilfe ins Haus zu holen. Doch wenn sie es tun, erleben sie sehr häufig eine große Entlastung. Mein Rat lautet deshalb: frühzeitig beginnen und die Übergabe bewusst vorbereiten – zum Wohle beider Seiten.
„Wir lassen uns nicht instrumentalisieren“
Was ist der häufigste Grund, der Unternehmerfamilien dazu bewegt, ein Coaching mit Ihnen zu absolvieren?
Die Fragen ähneln sich, auch wenn sie aus unterschiedlicher Perspektive gestellt werden. Abgebende fragen: Wie übergebe ich mein Lebenswerk, wie lasse ich los, und was tue ich, wenn ich meine Kinder unbedingt, oder im Gegenteil, auch nicht in der Rolle sehe? Nachfolgende wiederum wollen wissen: Will und kann ich das überhaupt, kann ich den Erwartungen gerecht werden, und wie viel Freiraum habe ich, die Dinge nach meinen Vorstellungen zu gestalten? Hinter diesen Grundsatzfragen liegen oft unausgesprochene Erwartungen, lange Familiengeschichten und Konflikte. Nicht selten kommt es zu massiven Kommunikationsstörungen, die die Familien nicht mehr allein lösen können. Genau dann werden wir gerufen.
Wenn Sie auf Ihre bisherigen KlientInnen zurückblicken: Wie erleben Sie innerhalb des Coachings die Gespräche zwischen der abgebenden und der übernehmenden Generation?
Da ist wirklich alles dabei: (starke) Versachlichung, viel Drumherum reden, Vorwürfe, Beschwichtigungen, eisige Stille, Wutanfälle, Tränen, Versöhnung, Worte, die seit Jahrzehnten nicht ausgesprochen wurden – bis hin zu völliger Sprachlosigkeit. Unsere Aufgabe ist es, diesen Raum zu halten und die Emotionen nicht zu verdrängen, sondern einzubeziehen. Denn erst, wenn die Gefühle Platz haben, kann man konstruktiv strategisch arbeiten. Ignoriert man sie, bleiben die Lösungen an der Oberfläche.
In Unternehmerfamilien herrscht oft die Erwartung, dass die nächste Generation die Nachfolge antritt. Gibt es überhaupt die Möglichkeit, „nein“ zu sagen?
Natürlich. Wir lassen uns nicht instrumentalisieren nach dem Motto: „Jetzt überzeugt mal meine Tochter, dass sie das machen soll.“ Unser Ansatz stärkt Eigenverantwortung. Mit Potenzial- und Kompetenzanalysen prüfen wir beispielsweise gemeinsam, ob das Kompetenzempfinden, die Motivation und die Fähigkeiten zu den Anforderungen der Rolle passen. Wichtig ist, dass Nachfolgende Zeit bekommen, sich auszuprobieren – so entsteht eine tragfähige Entscheidung und kein Ergebnis aus Druck, das später bereut wird.
„Angst wird zu Zutrauen, Wut zu Trauer und Scham zu Selbsterkenntnis“
Die Übernahme eines Familienunternehmens bedeutet enorme Verantwortung. Sind Ängste und Zweifel in Ihren Coachings ein großes Thema?
Ja, auf beiden Seiten. Nachfolgende zweifeln, ob sie ernst genommen werden oder den Erwartungen gerecht werden können. Abgebende sorgen sich um die Zukunft und fragen sich, ob die Nachfolgenden die Balance zwischen neuen Ideen und bewährten Strukturen finden. Dazu kommen die Erwartungen der Belegschaft, die Marktsituation, Kunden – viele Faktoren wirken gleichzeitig. Ohne externen Blick ist es schwer, das alles klar zu sehen.
Was verändert sich im Konstrukt einer Familie, wenn offen über solche Ängste gesprochen wird?
Dann entstehen neue Perspektiven: Angst wird möglicherweise zu Zutrauen, Wut kann sich in Trauer verwandeln und zu Versöhnung führen, aus Scham kann beispielsweise ein Selbsterkenntnisprozess angeschoben werden. Solche Veränderungen sind entscheidend, weil sie Beziehungen entlasten, Menschen entwickeln und den Weg für gute Lösungen frei machen.
Wie erkennen Sie, ob eine Nachfolge-Entscheidung wirklich die eigene ist – oder nur die eleganteste Lösung für den Familienfrieden?
Das ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen. Jeder muss selbst reflektieren, welchen Preis er oder sie für eine Entscheidung zahlen will. Wir stellen Beobachtungen und Hypothesen zur Verfügung, auch wenn sie unbequem sind. Aber Verantwortung und Entscheidung liegen immer bei den KlientInnen.
Wie vermitteln Sie zwischen beiden Seiten, wenn die Interessen sehr weit auseinanderliegen?
Indem wir u.a. Perspektivwechsel anregen. Oft wollen die Parteien einander gar nicht mehr zuhören, oftmals aus den benannten emotionalen Gründen und auch wegen alter Familienfehden. Klare Worte durch uns Coaches und auch z.B. Humor können helfen, wieder einsichtiger zu werden und auch schöne Gemeinsamkeiten zu entdecken. In den meisten Fällen gibt es mehr Verbindendes, als die Beteiligten zunächst wahrnehmen oder im Konflikt einfach auch ausgeblendet haben.
„Ich mag Herausforderungen und glaube an die Kraft der Verbundenheit“
Haben Sie für sich in all den Berufsjahren einen Indikator entdeckt, bei dem Sie grundsätzlich von einer Übernahme abraten?
Nein. Ich arbeite nicht nach festen Schemata und gebe keine pauschalen Ratschläge. Jeder Fall ist individuell, jede Geschichte einzigartig. Meine Aufgabe ist, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Motivation und Kompetenzen zu klären und Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.
Welche Fähigkeiten oder Kompetenzen braucht ein junger Familienunternehmer in unseren unbeständigen Zeiten unbedingt?
Meiner Erfahrung nach sind es u.a. systemische Arbeitsansätze und systemische „Tugenden“ wie Selbstreflexion, Eigenverantwortung, Entscheidungsfreude, Freude an Komplexität, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität, psychische Stabilität, Lust am Lernen und an strategischem Denken, die sehr unterstützend wirken. Die genauen Anforderungen hängen immer vom jeweiligen System ab – oft ist es Teil unserer Arbeit, diese gemeinsam zu bestimmen.
Was ist die größere Herausforderung: das Loslassen durch die abgebende Generation oder die Übernahme von Verantwortung durch die nachfolgende Generation?
Ein systemisches „Sowohl als Auch“.
Was ist für einen gesunden Generationswechsel unabdingbar?
Ich würde in jedem Fall sagen die Kommunikation, Selbstreflexion, Ehrlichkeit, Klarheit, Offenheit, Mut, Verbindlichkeit – und die Fähigkeit, Unterschiede wertzuschätzen und dabei konstruktiv in Verbindung zu bleiben und auch Verbindung proaktiv zu schaffen. Dies erfordert eben auch die Größe, mal über den eigenen Schatten zu springen und zu wissen, wie man das mit sich selbst hinbekommt…
Wenn Sie selbst heute ein Familienunternehmen übernehmen sollten – würden Sie es tun?
Ja. Ich habe schon ein Unternehmen übernommen, wenn auch nicht aus der eigenen Familie. Ich würde es wieder tun, auch mit familiärem Hintergrund. Ich mag Herausforderungen und glaube an die Kraft der Verbundenheit. Daraus entsteht Gestaltungskraft, wenn eine Familie es wirklich will. Manche gemeinschaftlich unternehmerischen Aufgaben sind einfach wichtiger als das Ego Einzelner.
Über die Autorin: Verena Arnhold (Studium der Linguistik und Psychologie M.A.), ist seit 15 Jahren Geschäftsführerin des Weiterbildungsinstitutes „die systemiker“, mit Sitz in Münster. Als Coach für Führung und systemische Organisationsentwicklerin unterstützt sie Geschäftsführende, Nachfolgende und Teams darin, mehr Klarheit in erfolgsrelevanten Themen wie u.a. der Selbstentwicklung in Verantwortungsrollen, modernen Führungskompetenzen, innovativen Unternehmensstrategien und produktivem Konfliktverhalten zu finden, um dadurch persönliche und unternehmerische Veränderungsprozesse bewusster individuell gestalten zu können: www.die-systemiker.de.