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Leitbild-Entwicklung im Kontext der Resilienz-Stärkung

Ohne ein Leitbild ist Organisationale Resilienz in Unternehmen undenkbar. Warum sich die Kultur Ruhr GmbH auf resilienzstärkende Erfolgsfaktoren und Strukturen fokussiert, erfahren Sie in diesem Best Practice. 

Leitbilder sind die Fundamente der Resilienz. Sie definieren, wozu es eine Organisation gibt und welchen Unterschied sie in der Welt macht (Vision). Sie beschreiben, wie eine Organisation ihre Vision umsetzt und was der Kern dessen ist, was die Menschen in der Organisation tagtäglich tun (Mission). Leitbilder beschreiben auch, wie Menschen zusammenarbeiten – intern miteinander sowie extern mit ihren Stakeholdern – und welchen Charakter eine Organisation hat (Leitsätze und Werte). Im Kontext der Stärkung ihrer Resilienz hat die Kultur Ruhr GmbH aus Bochum in 2022 einen solchen Leitbild-Prozess gestartet. Das Leitbild der Kultur Ruhr beantwortet allerdings nicht allein die Fragen zur Vision, Mission und zu den Leitsätzen und Werten der Kultur-Organisation. Das Best Practice „Resilienzfördernde Leitbild-Erstellung der Kultur Ruhr“ gibt Antworten auf die Frage, warum die Kultur Ruhr in ihrem Leitbild insbesondere auch spezifische resilienzstärkende Erfolgsfaktoren und Strukturen fokussiert und schon den Leitbild-Entwicklungsprozess in diesem Sinne gestaltet.

Die Kultur Ruhr GmbH wurde vor über 20 Jahren auf Anregung der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (1989-1999) mit dem Ziel gegründet, ein internationales Kulturfestival zu etablieren, das die Industriedenkmäler des Ruhrgebiets bespielt. In ihrem Gesellschaftsvertrag heißt es: „Gegenstand des Unternehmens ist die Planung, Vorbereitung und Durchführung von kulturellen Projekten im gesamten Ruhrgebiet. Alle Projekte haben regionalen Charakter mit dem Ziel einer nationalen bzw. internationalen Ausstrahlung und dienen ausschließlich der Förderung von Kunst und Kultur als Beitrag zur kulturellen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Erneuerung bzw. Weiterentwicklung des Ruhrgebiets.“Mit ihrem Programmangebot leistet die Kultur Ruhr einen wertvollen Beitrag im Kontext des industriellen Strukturwandels.

Ob Werkshallen der ehemaligen Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie, kulturell nicht konnotierte Orte oder öffentliche Räume – die Kulturorganisation ermöglicht regionalen, nationalen und internationalen Künstler:innen und Kulturschaffenden die Produktion von innovativen Projekten jenseits klassischer Kunst- und Kulturstätten. Die temporären Bühnen in der Ruhrmetropole werden zu Möglichkeits-, Experimentier-, Identifikations- und Diskussionsräumen – letzter mitunter auch gewollt kontrovers, denn Kunst und Kultur darf sich hier kritisch mit gesellschaftlichen Belangen auseinandersetzen. Die Einzigartigkeit der bespielten Räume und die Raumbezogenheit der Werke in Kombination mit zeitgenössischer und spartenübergreifender Kunst und Kultur erzielen regelmäßig nationale und internationale Strahlkraft.

Aufgrund ihrer Struktur ist die Kultur Ruhr einem steten Wandel ausgesetzt: So wechselt die künstlerische Leitung der Ruhrtriennale, der größten der vier Säulen, alle drei Jahre. Damit geht eine hohe Fluktuation sowohl beim künstlerischen als auch teilweise beim administrativen Personal einher. Die Teamzusammensetzung erneuert sich somit ständig und erfordert daher eine verlässliche Grundstruktur, welche die Veränderung gut auffangen und begleiten kann. Unter anderem aus diesem Grund schlug das Team der Kultur Ruhr vor, den Unternehmenszweck im Rahmen eines Leitbild-Entwicklungsprozesses unter Mitwirkung aller künstlerischen Sparten und Abteilungen zu schärfen und auszuformulieren. Dieses Anliegen wurde von den Geschäftsführerinnen Barbara Frey und Dr. Vera Battis-Reese als wichtiger Impuls wahrgenommen und unterstützt. Gemeinsam wurde beschlossen, eine zukunftsgerichtete Orientierung nach innen und außen zu entwickeln: Wofür steht die Kultur Ruhr, was ist ihre Aufgabe, wo sind ihr Grenzen gesetzt, wie will die Kulturorganisation stetem Wandel begegnen, auf welcher Basis und in welchen Strukturen erfolgt eine zukunftsgerichtete

Ziele der Leitbild-Entwicklung

Mit der Leitbild-Entwicklung investiert die Kultur Ruhr in die Stärkung ihrer Resilienz und damit in ihre Zukunftsfähigkeit und Langlebigkeit. Das Leitbild soll den Mitarbeiter:innen der Kultur Ruhr Orientierung geben und ein Leitfaden des Miteinanders in der Organisation und im Umgang mit Herausforderungen und Problemen aller Art – sowohl internen als auch externen – sein. Es beantwortet damit nicht allein die Fragen zur Vision, Mission und zu den Leitsätzen und Werten der Kultur-Organisation. Das Leitbild verfolgt auch das Ziel, die Stabilität und Konstanz der Organisation zu stärken, relevante gesellschaftliche Themen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen und die Organisation resilienter und damit krisenfester und zukunftsfähiger auszugestalten. Inhaltlich fokussiert es darum gezielt resilienzfördernde Elemente, und auch der Prozess selbst ist bereits im Sinne der Stärkung der organisationalen Resilienz gestaltet. Der Leitbild-Prozess der Kultur Ruhr trägt damit der Erkenntnis Rechnung, dass es spezifische Erfolgsfaktoren und strukturelle Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit gibt, die die organisationale Resilienz stärker fördern als andere und dass es darauf ankommt, Leitbilder nicht nur auszuhängen, sondern auch zu leben.

Ausgangslage und Vorbereitungen

„Für uns war klar, dass wir einen partizipativen Leitbild-Prozess umsetzen möchten,“ sagt die Projektverantwortliche der Kultur Ruhr, Franca Lohmann. „Nicht nur aus Gründen der Akzeptanz unter den Kolleg:innen, sondern vor allem deshalb, weil wir die unterschiedlichen Perspektiven auf relevante Fragestellungen hören und einfließen lassen wollen. Die Per-spektiven sind für uns sehr wertvoll. Sie sind nicht alle deckungsgleich. Manche Kontroverse und Diskussion lernen wir daher auszuhalten“ so Lohmann. „Spannend ist aber auch das Entdecken von Gemeinsamkeiten!“ Die Marketingleiterin der Kulturorganisation plante und organisierte 2022 die Workshop-Serie zur Leitbild-Entwicklung, die pandemiebedingt primär online umgesetzt wurde.

In Vorbereitung auf den Entwicklungsprozess wurden reale und digitale Räume zur Kollaboration geschaffen und das Team auf freiwilliger Basis zusammengestellt. Ein Erfolgsfaktor der Teambesetzung ist seine Vielfältigkeit und Diversität. Eine Zusammenarbeit über Hierarchien, Abteilungen und insbesondere über die Sparten der Kultur Ruhr hinweg klingt selbstverständlich. Im Arbeitsalltag ist das aufgaben- und strukturbedingt nicht immer möglich. Man muss wissen: Das künstlerische Team der jeweiligen Säulen kreiert für verschiedene Spielorte im Ruhrgebiet Kunst auf höchstem Niveau. Die Programme greifen mit-unter gesellschaftliche Themen auf, die einen Diskurs auch provozierend und polarisierend vorantreiben. Das Team plant diese künstlerischen Projekte und gestaltet sie inhaltlich – in Zusammenarbeit mit lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Akteur:in-nen – aus.

Das organisatorische Team schafft die Voraussetzungen für die Umsetzung der künstlerischen Projekte. Es sichert langfristig die Strukturen, die Rahmenbedingungen und das Umfeld, in denen Kunst stattfinden kann. Es sorgt für künstlerische Möglichkeitsräume und für die organisationale Beständigkeit und ist eine wichtige Konstante der Kultur Ruhr. Das Team sorgt für einen dauerhaften Kontakt zu den Partner:innen, darunter Sponsor:innen, Stiftungen, Koproduktionspartner:innen und Spielorten. Diese Strukturen im Sinne eines gemeinsamen Teambuildings – jenseits von Sparten, Hierarchien und Abteilungen – stärker miteinander zu verknüpfen, war und ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Leitbild-Prozess im Sinne der Resilienz und wird von den Teilnehmenden entsprechend positiv wahrgenommen: „Danke für den Austausch, insbesondere mit denen, mit denen man im Alltag kaum Berührungs-punkte hat“, lautet eines der Feedbacks im Rahmen der Workshops.

Öffnung der Kollaborations-Räume: Struktur der Leitbild-Workshops

Mit Eröffnung der zumeist digitalen Kollaborations-Räume im Rahmen der Leitbild-Workshops startete die Kultur Ruhr in einen „Safe Space“. Check-in- und Check-out-Übungen rahmen ihn. Die Übungen legen mit ihren informellen Elementen die Basis erfolgreicher Teamzusammenarbeit. Sie schaffen eine offene Atmosphäre, die dem Team hilft, produktiv zusammenzuarbeiten, auch schwierige Situationen anzusprechen und eine Fehlerkultur zu implementieren. „Das Format Check-in und Check-out haben wir sehr schnell auch in anderen Teamsitzungen eingeführt. Es hilft dabei, sich auf das Besprechungsthema zu fokussieren, und es macht Spaß, die Kolleg:innen durch das Format auch auf anderer Ebene zu erleben und sie auf neue Weisen wahrzunehmen“, so Franca Lohmann zu den Erfahrungen mit der Methodik. Der informelle Austausch unterstütze zudem den Aufbau von Vertrauen untereinander, Empathie füreinander und Nähe zueinander.

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„Unser partizipativer Prozess fördert die Akzeptanz und eröffnet uns wertvolle Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen.“

Franca Lohmann, Marketingleiterin der Kultur Ruhr GmbH und Projektverantwortliche für den Leitbild-Prozess

Im Hauptteil der einzelnen Workshops gliederten vorbereitete Arbeitsmethoden und -prozesse die Leitbild-Entwicklung. Sie zielten auf eine strukturierte und ko-kreative Findung von Perspektiven und Optionen innerhalb eines klar definierten Zeitfensters ab. „Time-Boxing“ ist hier das Stichwort. Und zu erarbeiten gab und gibt es einiges. In den Workshops wurden Lösungsoptionen für ganz unterschiedliche Fragen erarbeitet wie unter anderem: Welchen Zweck verfolgt unser Unternehmen? Welche Sinnhaftigkeit und Bedeutung schreiben wir unserer Organisation und unserer Arbeit zu? Die Kunst ist unser Herzstück: Welche (Ver-)Bindungen haben wir zu Künstler:innen und Besucher:innen? Können wir die Bindungen stärken? Wie können wir uns über Sparten und Organigramme hinweg noch enger verbinden? Wie können wir sicherstellen, dass neue Teams und neue Mitarbeitende gut aufgenommen wer-den? Wie können wir den Informationsfluss in alle Richtungen sicherstellen? Wie können wir Synergien entdecken?

In all den Themen finden sich starke Gemeinsamkeiten. „Die Kunst ist unser Herzstück“, sagen die Mitarbeitenden der Kultur Ruhr. Das verbindet sie. „Wir bespielen außergewöhnliche Orte, das ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale, dessen Bedeutung wir uns wieder stärker in Erinnerung bringen sollten“, ist eine weitere Erkenntnis aus den Workshops. Für die Künstler:innen und Kulturschaffenden der Kultur Ruhr sind diese Räume ehemaliger Montanindustrie, mit denen sie experimentieren können, immer wieder einzigartig: „Wir eröffnen Möglichkeitsräume. Künstler:innen und Be-sucher:innen erleben diese Räume, die Region sowie ihre Geschichte und Gegenwart immer wieder auf neue Weise. Wir bieten Raum für Identifikation, aber auch für den Diskurs darüber.“ Insofern ist der im Gesellschaftsvertrag formulierte Zweck auch nach 20 Jahren absolut treffend! Noch ist der Leitbild-Prozess nicht finalisiert. Doch schon durch den Prozess der Entwicklung ist viel in Bewegung gekommen.

Ausblick

„So sollten wir vielleicht auch zwischen den Leitbild-Workshops weiterarbeiten“, stand im Feedback zu einem der ersten Workshops. Genau das ist das Ziel, das die beiden Geschäftsführerinnen Barbara Frey und Dr. Vera Battis-Reese mit dem Prozess erreichen wollen. Denn ob es um die Entwicklung eines Leitbildes geht oder um die Lösung von Problemen oder um die Bearbeitung von Unbekanntem – der Wandel ist ein immanenter Teil organisationaler Evolution. Ein erwartbares Ereignis. „Das verbindende Moment aller Mitarbeitenden der Kultur Ruhr ist die Kunst, die es zu ermöglichen gilt und deren Kraft darin liegt, unseren Blick zu weiten. Dies immer wieder aufs Neue in den Mittelpunkt einer Kulturinstitution zu rücken, halte ich insbesondere in Krisenzeiten wie diesen für existenziell wichtig“, so Barbara Frey.

Dr. Vera Battis Reese ergänzt: „Wie wir im Rahmen des Leitbild-Prozesses miteinander gearbeitet haben und weiterarbeiten werden, vertieft vor dem Hintergrund von Wandel und Veränderung unser Verständnis davon, wie wir uns grundsätzlich begegnen wollen.“ In diesem Sinne formuliert das Leitbild der Kultur Ruhr die organisationalen Strukturen, die Zusammensetzung der Teams, die Regeln des Miteinanders und die relevanten Herangehensweisen und Methodiken, die eine resiliente Organisation ausmachen und Erfolgsfaktoren für die Krisenfestigkeit und Zukunftsfähigkeit der Kultur Ruhr zugunsten der Förderung von Kunst und Kultur sind.

Leitbild: Fundament der Resilienz

Die eigenen Aufgaben sind umrissen, die engen Kolleg:innen vertraut, die Prozesse bekannt und im Groben und Ganzen ist klar, warum es die Organisation gibt, warum man sich dort beworben hat und warum man morgens zur Arbeit fährt. Und trotzdem verlieren Menschen in Organisationen mitunter den Fokus. Dann fallen Entscheidungen schwerer. Für manches findet sich kaum eine Lösung. Die subjektiv empfundene Belastung steigt und mit ihr oft auch die Krankenstände. Innovations- und Entwicklungsprozesse bleiben auf der Strecke, obwohl die Zahl der Aufgabenzettel zunimmt. Ein ausformuliertes und gelebtes Leitbild kann Organisationen helfen. Es bietet Orientierung, setzt Leitplanken und schärft den Blick für das Wesentliche. Leitbilder sind zukunftsentscheidend. Die Unternehmensziele und die Unternehmensstrategie zahlen bestenfalls auf die Vision der Organisation ein. Leitbilder entstehen auf unterschiedliche Art und Weise – mal niedergeschrieben von der Geschäftsführung, mal entwickelt mithilfe externer Beratung, oft auch im Rahmen partizipativer Prozesse. Und jede Art und Weise hat ihre eigenen Vor- und Nachteile. Doch ganz gleich, auf welchem Weg sie entstanden sind – eines steht fest: Leitbilder sind die Fundamente der Resilienz. Menschen in Organisationen, die die Fähigkeit besitzen möchten, trotz maximal unvorhersehbaren Umwelten mit (vermeintlich) bekannten Problemen und mit Unbekanntem umgehen und den Wandel zum eigenen Vorteil nutzen zu können, sollten wissen, welche Vision und Mission sie verfolgen und welche Leitsätze und Werte sie tragen. Aus der Resilienzforschung wissen wir, welche spezifische Erfolgsfaktoren und Strukturen der Zusammenarbeit resilienzfördernd sind. Diese im Leitbild zu fokussieren und das Leitbild nicht nur auszuhängen, sondern auch zu leben, sind wichtige Meilensteine auf dem Weg der Stärkung Organisationaler Resilienz

Kultur Ruhr GmbH aus Bochum

Insgesamt besteht das Non-Profit-Unternehmen Kultur Ruhr derzeit aus vier eigenständigen Programmsäulen: der Ruhrtriennale – das internationale jährliche Festival der Künste, dem Chorwerk Ruhr, einem der bedeutendsten Kammerchöre Deutschlands, der Tanzlandschaft Ruhr, welche mit PACT Zollverein ein Zentrum für darstellende Kunst mit dem Schwerpunkt Tanz darstellt, und Urbane Künste Ruhr, einer vielgestaltigen, dezentralen Institution für Gegenwartskunst im Ruhrgebiet. Für jede Säule der Kultur Ruhr GmbH wird eine eigene künstlerische Leitung bestellt. Somit erhält jeder Bereich eine inhaltliche Eigenständigkeit, die auch nach außen sichtbar wird. Gesellschafter und öffentliche Förderer der Kultur Ruhr GmbH sind das Land Nordrhein-Westfalen und der Regionalverband Ruhr. Das Programm der vier künstlerischen Säulen zeichnet sich durch die Produktion und Vermittlung zeitgenössischer und spartenübergreifender Kunst in der gesamten Kulturmetropole Ruhr aus: zu erleben sind bei der Ruhrtriennale unter anderem großformatige internationale Musiktheater- und Schauspielproduktionen in den monumentalen Industriedenkmälern der Region, wegweisende Tanzproduktionen und Performances unter anderem bei PACT Zollverein, Musik auf höchstem Niveau unter anderem bei Konzerten des Chorwerk Ruhr oder künstlerisch-diskursive Projekte im öffentlichen Raum bei den Veranstaltungen von Urbane Künste Ruhr.

Jana Meißner Resilienz-Expertin
Autor

Jana Meißner

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