„Ich möchte heute kein Kind sein. Ich bin froh, dass ich in den 1980er-Jahren groß geworden bin“, sagt der 38-jährige Autohausbesitzer. „Ich schaue keine Nachrichten mehr. Das macht mich fertig!“, offenbart die 46-jährige Mutter. „Meine Generation ist die Erste, der es nicht besser gehen wird als der ihrer Eltern“, stellt der 32-jährige Berater für sich fest. „Wir sollten kein Haus mehr kaufen. Wir sollten besser alles verkaufen, damit wir schnell flüchten können“, sagt die 20-jährige Studentin.
Diese Aussagen aus meinem direkten Umfeld spiegeln ein Gefühl wider, das sich wie ein Schatten über unsere Zeit legt: die Angst vor Gegenwart und Zukunft. Dabei haben die Gründe für diese Ängste viele Gesichter. Ob es globale Krisen und Kriege sind, die Unberechenbarkeit technologischer Umbrüche, die Schwäche der eigenen Wirtschaft oder der Eindruck, dass demokratische Werte zunehmend an Stabilität verlieren – viele Menschen fühlen sich überwältigt. Die Zukunft sah früher schon mal besser aus!
Ian Goldin, Professor an der Universität Oxford, beschreibt die heutige Zeit als „Zweite Renaissance“. Viele Herausforderungen würden sich überlagern und gegenseitig verstärken: Klimawandel, Migration, wirtschaftliche Ungleichheiten, politische Instabilität und technologische Disruptionen. Es ist das Wesen der multiplen Krisen – sie hängen zusammen und beeinflussen sich wechselseitig. Gleichzeitig spricht Goldin verheißungsvoll vom „Zeitalter der Entdeckungen“ und einer „Welle von Erfindungen und Innovationen über jedwede Grenzen hinweg.“ Ein „Zeitalter der Entdeckungen“? Das klingt doch erstmal spannend, nach Christoph Kolumbus und Neil Armstrong. Und trotzdem scheint der Glaube an eine bessere und gestaltbare Zukunft bei vielen Menschen erloschen. Von einer Gewissheit, dass die Zukunft eine bessere wird, möchte ich gar nicht sprechen.
Ist das noch „New Moonshot“ oder schon „Blackout Planet“?
Das Gefühl vom Verlust der Selbstwirksamkeit ist allgegenwärtig. Was zählt die eigene Stimme, das eigene Handeln, in einer komplexen, globalisierten Welt? Entscheiden scheinen nur noch politische Machthaber wie Trump und Putin, milliardenschwere Unternehmer wie Musk oder Algorithmen und neuerdings die KI. Das Vertrauen in demokratische Institutionen und Medien dagegen schwindet. Im „Edelman Trust Barometer“ aus 2023 heißt es: „Nur 42 % der Deutschen vertrauen politischen Führungspersönlichkeiten, während 45 % befürchten, dass Medien absichtlich irreführende Informationen verbreiten.“ Ein Beleg für die Vertrauenskrise gegenüber zentralen demokratischen Institutionen und ihren Akteuren.
- Mir stellt sich die Frage: Wo stehen wir eigentlich? Ist das alles noch „New Moonshot“, oder längst „Blackout Planet“?
Die Zukunftsverunsicherung trifft laut der Shell Jugendstudie 2024 insbesondere auch junge Menschen. „Die Angst vor Krieg in Europa (81 %) und die Sorge um die wirtschaftliche Lage (67 %) prägen das Lebensgefühl junger Menschen, während Umweltprobleme und Klimawandel mit jeweils etwa 64 % weiterhin als drängende Herausforderungen empfunden werden“, heißt es darin. Die Studentin der Generation „Z“ möchte am liebsten keine festen Bindungen in Form eines Eigenheims mehr eingehen. Sie kann sich, ebenso wie die „X“- und „Y“-Generationen, heute und in Zukunft auf nichts mehr verlassen, obwohl sie im Großen und Ganzen nur Stabilität und stetigen Fortschritt kennen gelernt hat.
Unsere Resilienz-Kompetenz ist untrainiert
Wir erleben, wie sichere Konstanten – wie eine geopolitische Stabilität – innerhalb kürzester Zeit wegbrechen. Und das nach 70 Jahren Frieden in Europa! Wir haben den Zustand „Frieden“ – und auch die anderen Zustände – für völlig normal gehalten. Wir haben nicht gelernt, mit diesen „Erfindungen“ und ihren unbekannten Herausforderungen umzugehen. Wir sind nicht trainiert! Aber ohne Training geht das mit der „Resilienz“ nicht. Ohne Krisentrainings können wir unsere Kompetenzen nicht auf- und ausbauen. Wir brauchen Resilienz-Kompetenz heute mehr denn je, um anpassungsfähig und überlebensfähig zu bleiben. Jetzt blicken wir „untrainiert“ und mit mulmigem Gefühl auf Gegenwart und Zukunft – so wie der 38-jährige Autohausbesitzer, der erleichtert ist, weil er nicht selbst in dieser Zeit aufwächst und zugleich zutiefst besorgt ist, mit Blick auf seine Kinder. Wir wissen, so schnell wie der Wandel aktuell vorgeht, haben wir gar keine Zeit für ein angemessenes Krisentraining! Wir müssten sofort „ready“ sein.
Wie gehen wir also mit der Entwicklungsgeschwindigkeit, der Fragilität und Unsicherheit um? Bleibt uns nur die Kapitulation? Oder können wir ein wenig Zukunft wagen? Können wir uns nicht sogar auf das Neuland freuen? Kolumbus und Armstrong wussten doch auch nicht, was sie erwartet, und trotzdem haben sie ihre Zukunftsreisen angetreten.
Neu heißt nicht immer nur gut
Was heißt Zukunft eigentlich? Der Zukunftsforscher Horx sagt, dass Zukunft vor allem mit dem Begriff „Neu“ im Sinne von „Gut“ verbunden sei. Aber – alles Neue sei nicht immer auch gut, sagt er auf Seite 28. Und genau das sehen wir. Wir sehen enorm viele Risiken und ahnen, dass es noch viel mehr unbekannte Risiken gibt. Die Megatrends, wie etwa die Digitalisierung, bringen alle für sich betrachtet große Nachteile mit sich. Insbesondere die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI), die technologische Revolution überhaupt, spielt in der aktuellen Verunsicherung eine zentrale Rolle. Wer hat die Macht über die Daten? Wie verhindern wir Manipulationen, Desinformationen und Datenmissbrauch? Lassen sich der Hass und die Hetze wieder einfangen? Welche Jobs sind auch in Zukunft sicher und welche Kompetenzen verlagern sich auf die KI? Die „Entdeckungen“ hinterlassen mehr Fragen als Antworten!
- „Die Welt kann niemals völlig gut sein. Aber es ist möglich, sie zu verbessern. Darin liegt der ganze Sinn der Zukunft.“ Horx 2023, S.92
Alles eine Frage der Perspektive
Ich stelle noch einmal die Frage: „Können wir uns nicht trotzdem, trotz der bekannten und unbekannten Risiken auf die Zukunft freuen? Kolumbus und Armstrong sein und gespannt unsere Zukunftsreise antreten?“
„Uns mangelt es an der nötigen Perspektive!“, sagt Ian Goldin in Goldin/Kutarna, „Die zweite Renaissance. Warum die Menschheit vor dem Wendepunkt steht“, auf Seite 19. Trendforscher Horx bestätigt diese Meinung in seinem jüngsten Buch „Zehn Zukunftsweisheiten für den Umgang mit dem Morgen“. Die Frage nach Bewältigungsstrategien für das Morgen ist keine Generationenfrage! Horx stellt fest, dass vielmehr jeder Mensch einen eigenen Zukunftsstil habe – und die Wahl zwischen diesen drei Perspektiven:
- die Perspektive des inneren Niedergangs, bei der der Wandel als Verlust des Komfortablen und Gewohnten gewertet wird,
- die Perspektive des Übergangs, in der der Zukunft im Trial-and-Error-Verfahren begegnet wird, weil klar ist, dass sich etwas ändern wird und
- die Perspektive der Vision, bei ein weiter Sprung in die Zukunft erfolgt, um von dort aus die Gegenwart zu betrachten und einzuschätzen.
Und? Welche Perspektive haben Sie? Am besten solle man laut Horx übrigens alle drei Perspektiven haben und sie stetig wechseln.
Innerer Frieden
Während ich mich darin übe, abwechselnd und ganz bewusst diese drei Perspektiven einzunehmen, stelle ich fest – das ist leichter geschrieben und gesagt, als getan! Und tagesformabhängig! Und insgesamt verdammt anstrengend. Ich persönlich muss mittlerweile regelmäßig Ruheorte aufsuchen – sowohl im physischen als auch im metaphorischen Sinne. Ich entziehe mich nicht grundsätzlich der täglichen Nachrichtenflut, so wie die 46-Jährige Mutter, die zugibt, keine Medien mehr zu konsumieren, um psychisch stabil zu bleiben. Aber mal einige Stunden nichts hören und nichts sehen ist schon eine feine Sache! Gelingt mir gut im Garten oder auf der Skipiste.
Im übertragenen Sinn stecke ich „meinen Kopf in den Sand“. So wie der Vogel Strauß – der das im wahren Leben übrigens gar nicht macht – aber das ist eine andere Geschichte! Normalerweise jedenfalls ist es kein guter Rat, vor allen Dingen nicht im Kontext von Krisen und Krisenmanagement, den Kopf in den Sand zu stecken. Aber – wer Resilienz trainiert, braucht auch den „inneren Frieden“. Wusste schon Meister Shifu in Kun Fu Panda 2. „Innerer Friede. Cool! Was ist das?“ Ich antworte mit Shifu: „Jeder Meister muss seinen Weg zum inneren Frieden finden, um in der Lage zu sein, den Fluss des Universums zu finden.“
Ich wünsche Ihnen für 2025, dass Ihnen die Perspektivenwechsel mehr und mehr gelingen und das mit dem „inneren Frieden“ auch – für Ihren Fluss durchs Universum, auch Zukunft genannt.
Ihre Jana Meissner, Herausgeberin des 22316_MAG und Geschäftsführende Gesellschafterin der MEISSNER The Resilience Company GmbH
PS: Falls Sie noch Lektüre für die Feiertage brauchen… Matthias Horx (2023). Zehn Zukunftsweisheiten für den Umgang mit dem Morgen. The Future:Project. Frankfurt + Ian Goldin/ Chris Kutarna (2016). Die zweite Renaissance. Warum die Menschheit vor dem Wendepunkt steht. FinanzBuch Verlag. München