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Erfolgsfaktor Krisenmanagement: Wie man in einer Krise „vor die Lage“ kommt

Der Kanzler Olaf Scholz richtet einen Corona Krisenstab ein. Klingt nach einer neuen Idee. Ist sie aber nicht! Der Corona-Krisenstab der Vorgänger-Bundesregierung arbeitete seit über einem Jahr. Neu ist seine Besetzung, die „Andockstelle“ ans Kanzleramt statt ans Gesundheits- und Innenministerium und seine Wahrnehmung als etwas Neues. Warum ist das so und warum erfolgen jetzt Anpassungen? Was ist unter einem Krisenstab überhaupt zu verstehen? Wie arbeitet er und was hat ein Krisenstab mit Resilienz zu tun? Darauf gibt‘s Antworten!   

Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation, mit zahlreichen (vermeintlich) bekannten Problemen und auch mit großen Unbekannten, zum Beispiel Corona, umzugehen und die Entwicklungen für den eigenen Wandel zum Vorteil zu nutzen. Krisenmanagementkompetenzen sind im Resilienz-Kontext unabdingbar und Krisenstäbe gehören als Organisationsstruktur zum festen Krisenbewältigungs- und damit zum Resilienz-Repertoire – auch und gerade im Kampf gegen die weiterhin große Unbekannte „Corona“.

Der Corona-Krisenstab: Eine neue Idee?

Mich wundert nicht, dass die News zum neuen Corona-Krisenstab (siehe Glossar: Krisenstab) von Olaf Scholz in den Medien so gut verfängt und dann auch noch als neue Idee. Die scheidende Bundesregierung hatte einen Corona-Krisenstab schon vor über einem Jahr implementiert, doch er trat überhaupt nicht in Erscheinung und wurde als solcher nie progressiv benannt. Der Name Hans-Ulrich Holtherm – Generalstabsarzt und von März 2020 bis November 2021 Leiter des bisherigen Krisenstabs – ist trotz seiner Arbeit in der breiten Öffentlichkeit genauso wenig bekannt wie die Tatsache, dass besagter Corona-Krisenstab ans Gesundheitsministerium und Innenministerium angedockt war und seit Beginn der Pandemie über 99 Mal tagte. Der bisherige Krisenstab führte ein Schattendasein. Jetzt sorgen allein die Infos, dass es einen Krisenstab im Kampf gegen Corona gibt und die Vorstellung der Personalie Breuer für große Aufmerksamkeit.

Personalie Carsten Breuer sorgt für Aufmerksamkeit

Generalmajor Carsten Breuer ist der „Chef“ des „neuen“ Corona Krisenstabs, den die Ampel-Parteien eingerichtet haben. „Der 56-Jährige kann Katastrophenschutz“, schreibt Die Welt am 30. November 2021 unter der Schlagzeile „Der General, der den Kampf gegen Corona organisiert“. Breuer wird also – um es in der Fachsprache zu sagen – Leiter des Krisenstabs. Sein Job ist es, gemeinsam mit den Mitgliedern des Krisenstabs Handlungsoptionen zur Bewältigung der Corona-Krise zu entwickeln und diese – sofern sie freigegeben werden – auch umzusetzen.

Das Kanzleramt ist keine „Gold-Ebene“ im klassischen Sinne

Auch der bisherige Krisenstab hatte das Ziel, Handlungsoptionen zur Bewältigung der Corona-Krise zu entwickeln und umzusetzen. Nun allerdings ist der Krisenstab an das Kanzleramt „angedockt“. Bisher war er dem Gesundheits- und Innenministerium unterstellt. Strukturell zielt diese Anpassung wohl darauf ab, dass das Kanzleramt die neue, sogenannte „Gold-Ebene“ darstellen soll – was im deutschen Rechtssystem aber nicht gleichzeitig heißt, dass jetzt der Kanzler in seiner Funktion auch „durchentscheiden“ kann. Beschlüsse müssen weiterhin im Bundeskabinett getroffen werden. Die Ausführung der Maßnahmen liegt dann bei den Ländern und Kommunen. Kritiker sprechen darum auch von einer „alten Schwachstelle“, die mit dem Andocken ans Kanzleramt nicht behoben sei. Es sei denn – und das hat die Ampel wohl vor – es werden Vertreter der Länder und Kommunen mit in den Krisenstab berufen. Sie von Beginn an in das Krisenmanagement (siehe Glossar: Krisenmanagement) gegen Corona einzubeziehen, hätte im föderalen Deutschland durchaus Chancen – und die Handlungsempfehlungen des Krisenstabs hätten am Ende mehr Durchschlagkraft.

Tägliches Tagen, tägliche Analysen, tägliche Empfehlungen

Die Länder und Kommunen mit ins Krisenmanagement einzubeziehen ist aber nicht nur hinsichtlich der späteren Durchsetzungs- und Umsetzungskraft der Maßnahmen sinnvoll, sondern auch hinsichtlich des (ab jetzt täglich) erzeugten Lagebildes. Das gemeinsame Lagebild ist entscheidend für die spätere gemeinsame Analysephase (die sogenannte Lagebewertung) und die darauf basierenden Maßnahmenfestlegungen. In all diesen Phasen auf das Know-how und Gespür der Länder und Kommunen zu verzichten, wäre aus meiner Sicht fatal. Regional sind die Probleme höchst unterschiedlich.

Die Länder und Kommunen in das Gremium Krisenstab zu berufen, bedeutet allerdings für alle Beteiligten ein Umdenken. Auch auf Seiten einzelner Ministerpräsidenten, die die Pandemie in den vergangenen Monaten gerne für ihre „Profilierungsshow“ als Krisenmanager genutzt haben. Krisenstabsarbeit ist Teamarbeit mit gleichem Stimmrecht. Krisenstäbe vereinen Kompetenzen statt wohlklingende Titel auf Visitenkarten. Hier sind Lösungsfindungskompetenzen und Kreativität gefragt, nicht Status und Macht, wie sie in der originären Struktur gegeben sind. In Unternehmen braucht diese Erkenntnis viel Zeit und auch Übung. Das ein Krisenstab (nur) eine temporäre Sonderorganisation ist, kann nicht oft genug betont werden. Niemand verliert in Wahrheit an Macht. Aber in gewisser Weise stielt Scholz den Ministerpräsidenten mit der Integration der Länder und Kommunen in den Krisenstab tatsächlich einen Teil ihrer Show. Die Bund-Länder-Runden jedenfalls ersetzt der Krisenstab.

Auf ein baldiges „Vor die Lage kommen“

Klar zu benennen, dass es einen Krisenstab gibt, halte ich für eine gute Entscheidung der Ampel. Jetzt kommt es auf die Besetzung an und mit der Besetzung einher geht auch das Maß an Durchschlagskraft des Krisenmanagements. Die Corona-Pandemie wird uns sicherlich noch einige Zeit, wenn nicht Jahre, begleiten. Ich wünsche dem neuen Krisenstab ein zielsicheres „Vor die Lage kommen“, wie der Krisenmanager gerne zu sagen pflegt, auf dass wir alle hoffentlich bald von „Krise gelöst“ sprechen und in einen modifizierten „Normalbetrieb“ zurückkehren können.

Jana Meißner Resilienz-Expertin
Autor

Jana Meißner